Sunday, 15. July 2018

Autor: Susanne Rowley

Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg

Facebook sagt, Du hast seit ewigen Tagen nichts gepostet. Stimmt.

Es gab nichts Neues zu sagen, liebe Wigwam Freunde, was ich nicht in 25 Jahren schon mal gesagt und kommentiert hätte.

Und in Zeiten, in denen sich Machthaber auf weltpolitischer Bühne teils auf Kindergarten Niveau gebärden (Ich zeig Dir Meins, Du zeigst mir Deins) kann man schon mal den Antrieb verlieren. 

Gestern ist Kofi Annan gestorben. 

Einer seiner letzten Tweets war sehr bedeutend für viele Bereiche des politischen Lebens, in denen sich nichts bewegt: 

We have the means and the capacity to deal with our problems, if only we can find the political will. 

Was übersetzt bedeutet: Wir haben die Mittel und die Fähigkeit, mit unseren Problemen umzugehen, wenn wir nur den politischen Willen hätten. 

Und genau darüber denke ich auch in Sachen Kindertagespflege und ihrer Zukunft seit Monaten nach. Sie ist nicht gewollt, und nur darum ist der Kampf für sie so unendlich zäh. Warum also für etwas kämpfen auf einem Schlachtfeld, das der Gegner noch nicht mal betreten hat..?    

Aber fangen wir mal gedanklich vorne an: 

Wir haben seit geraumer Zeit eine neue Familienministerin. Im ersten Moment, als sie ins Amt kam, überlegte ich kurz, ob wir sie und uns zu ihrem Erscheinen auf der Bundesbühne beglückwünschen, oder eher den Berliner Bezirk Neukölln bemitleiden sollten, eine Frontfrau diesen Formats verloren zu haben. Bei einem ihrer ersten TV Auftritte zum Thema „Schule / Gewalt / Ausgrenzung“ ließ sie ihre Mit Diskutanten recht zackig wissen, dass sie eine ist, die des Übels Lösung von der Wurzel herdenkt. Und so grätschte sie auch taff dazwischen, als das Thema frühkindliche Bildung, als Maß aller Bruttosozialprodukte - äh Dinge, sich auf den Kernpunkt Fachkräftemangel zu bewegte. Goldrichtig merkte sie an, dass zunächst der finanzielle Mangel bei den "Menschen vom Fach" behoben werden müsse, dann klappe es auch ganz folgerichtig mit dem Fach und den dazu nötigen Kräften. Bravo.  

Es entfleuchte ihr auf vielfaches Bitten auf ihrer Facebook Seite hin im TV sogar das Wort Kindertagespflege

woraufhin sich sofort ein Sturm der Dankbarkeit von Tagesmüttern & -vätern auf ihrer Facebook Seite ergoss. Das ist ja einerseits ganz nett. Zeigt aber auf, in welch erbärmlicher Position sich der Berufsstand seit Jahren befindet! OMG sie hat das KTP Wort gesagt ;-). 

Sie weiß genau Bescheid!

Und ich bin sicher, als Frontfrau will sie etwas erreichen. Aber sie wird im bestehenden System nicht viel mehr können, wie ihre zahlreichen Vorgänger*innen, weil der politische Wille zu echtem Umdenken fehlt. Es wird ihr nichts Anderes bleiben, als sich in die Riege derer einzureihen, die uns mit Berichten zum „Erfolgsfaktor Familie“ immer schon ermüdet haben, der nie ein Faktor des Erfolges für Familien war, sondern immer ein Wirtschaftsfaktor. Aber es lohnt sich, sie anzusprechen, weil sie unbequem ist, weil sie um die Systemfehler weiß, die Familien in diesem Land belasten. Und sie war hautnah dran an Familien in einer Stadt, in der die Probleme ganz sicher in kumulierter Form anzutreffen sind. Und es bleibt abzuwarten, wie es mit ihr weiter geht. 

Ein Wort zu Kritikern und Befürwortern frühkindlicher Bildung

Blickt man auf die Facebook Seite von Frau Giffey trifft man dort auf einander wohlgesinnte Kritiker und Befürworter frühkindlicher Bildung ebenso, wie auf Bittsteller pro Bindung und pro Kindertagespflege. Zu letzteren zählte ich mich aus Überzeugung durchaus viele Jahre. Ich schreibe bewusst in der Vergangenheitsform, weil ich glaube, dass mit den bisherigen Bettel Strategien und Argumenten den politisch Verantwortlichen niemals beizukommen ist. 

Einen Beitrag einer Erzieherin, den ich auf Frau Giffeys Seite fand, möchte ich hier vorstellen, um ein anderes Argument zu untermauern, warum wir so nicht weiter machen sollten. 

Vorweg: Den Inhalt würde ich sofort unterschreiben. Der Beitrag hat nur einen Fehler, den viele Kritiker Kommentare gleichermaßen aufweisen:  

Es wird ein Missstand angeprangert ohne einen Lösungsansatz im Gepäck. 

>> Kleinkinder brauchen die intensive Bindung zu ihrer konstanten Bezugsperson...für die Bildung ist die Schule da! Jahrzehntelang sind Westdeutsche ohne Krippenbesuch und ohne frühkindliche Bildung, dafür mit der intensiven Bindung zur konstanten Bezugsperson, mit Halbtagskindergarten und Halbtagsgrundschule aufgewachsen-sie haben ihr Abitur geschafft, eine gute Ausbildung und konnten von einem Gehalt eine Familie ernähren und in den Urlaub. Bonuspunkt: psychische und körperliche gute Gesundheit. Mit der heutigen Familienpolitik: Beide Elternteile arbeiten ab spätestens dem 12. Lebensmonat des Kindes Vollzeit, oft im Schichtdienst, in Randzeiten, nachts, am Wochenende kommen gerade so über die Runden, von Urlaub kann man nur träumen, die Kinder ab dem 12. Lebensmonat, mitten in der großen Fremdelphase, ohne Zeitgefühl und räumliches Vorstellungsvermögen, dafür mit traumatisierenden Verlassensängsten, getrennt von der konstanten Bezugsperson über Stunden, erleben in überfüllten Gruppen mit zu wenig Betreuern einen Stresspegel (Stresshormon Cortisol), wie der eines Managers, der eine 60 Stundenwoche hat) werden teilweise vom Babysitter zur Kita gebracht und von dort abgeholt. Ergebnis: Erhöhte Infektanfälligkeit und starke Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern, die zu Depressionen und anderen psychischen Krankheiten führen können, bei den Müttern, beim Versuch Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren: Burnouts...Frankreich, Schweden und Dänemark haben schon seit Jahrzehnten mit diesen Problemen zu kämpfen, in der ehe. DDR sah es genauso aus. Ich habe gerne in Kitas gearbeitet, heute nicht mehr, aufgrund dieser Kitapolitik, die Kindern die Kindheit nimmt und die Familie. Wir Erzieher sollten eine Ergänzung zum Elternhaus sein, heute müssen wir es ersetzen...und das sollte nicht so sein. Mein eigenes Kind würde ich nie in eine Krippenbetreuung geben. Kleinkinder gehören familienbetreut, es sei denn, die Eltern sind aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage dazu, sich gut um das Kind zu kümmern. Aber niemals sollte die finanzielle Situation der Eltern/Alleinerziehenden der Grund für die Krippenbetreuung sein...<<

So hart das auch klingt:

Entwicklungspsychologie und Bindungsschäden, die bis ins Erwachsenenalter hineinreichen, sind schlicht und ergreifend nicht Thema von Familienpolitik. Folglich lockt man niemanden hinterm Familien Polit Ofen vor, wenn man Missstände nur benennt. 

Besonders wichtig aber ist: Kritiker frühkindlicher Bildung müssen sich eines klar vor Augen führen: 

Wem nur Argumente "pro Bindung" fürs Kleinkind einfallen, ohne Lösungswege für Eltern in einer globalisierten Welt aufzuzeigen, der ist ganz automatisch "contra Vereinbarkeit" unterwegs.  

Im Klartext heißt das, 

dass reine Bindungskritiker Eltern - vornehmlich Mütter - zurück an den Herd beordern müssten, um das Kind in seinem Anrecht auf frühkindliche Bindung zu retten. Nur das wäre laut deren Argumentationskette konsequent. Auf diese Weise kreieren Kritiker gewollt oder ungewollt unversöhnliche Lager, die den Wunsch von Frauen beruflich früh aktiv zu sein, gegen die seelische Gesundheit von Kleinstkindern ausspielen. 

Keine gute Idee. Auch deswegen kommen wir nie voran! 

Ergo, ist Überzeugungsarbeit an dieser Stelle längst verschwendete Zeit. Was dann? 

In Verbitterung die Arme sinken lassen? Nein, nicht ganz.

An anderer Stelle sollte Überzeugungsarbeit Verstärkung finden: 

In der klar formulierten Vision. 

Wie wollen Familien - Jung und Alt - zusammen leben?

Wer sich in der Betrachtung der realen Welt nicht nur alleine auf seine persönliche Facebook Timeline verlässt und diese hoffentlich nicht für die ganze Wahrheit hält, dem müsste aufgefallen sein, dass Menschen in vielen Lebensbereichen lautstark nach Qualität statt Quantität rufen. Und sie rufen längst nicht mehr nur, sie schreiten zur Tat. Sie sehen sich nach alternativen Wohnformen um, weil sie der Bauvorschriften müde sind und Mietpreise ihnen den Saft abdrehen. Unsere Rentner gründen Alters WGs, sofern sie nicht in ein Land verschwunden sind, in dem sie für ihr Geld noch etwas bekommen, sie bilden Gemeinschaften mit Studenten - Hilfe gegen Kost und Logi - alles das, weil sie noch leben möchten statt vom System entsorgt zu werden. Ganze Dörfer bilden Pflege Gemeinschaften in Form von Punktesystemen für Junge, die sich heute für ihre Alten einsetzen. Diese Punkte sichern den Jungen gleiche Unterstützung zu, wenn sie selbst alt sind. Junge Menschen arbeiten frei und ungebunden, weil ihnen die digitale Welt das möglich macht, aber der Staat weiß nicht, was er mit ihnen anfangen soll. Der Landflucht im Osten wird in aktiver Eigenleistung mit besonderen Projekten begegnet, sei es im kulturellen oder medizinischen Bereich, während Vater Staat nicht den Hauch einer Idee zu haben scheint, woran es seinem Volk mangelt. 

Alles schreit geradezu nach einem politischen Rahmen für längst real gelebte Visionen von aktiver Gemeinschaft! 

Bindung & Vereinbarkeit 

sind kein Widerspruch. Es muss nicht immer die eigene Familie sein, die Bindung und Leben im sozialen Kontext ermöglicht, es könnte so viele Formen von Familie, Betreuung und Zusammenleben geben, wenn wir uns den Herausforderungen der modernen Welt in gemeinschaftlichen Zusammenhängen stellen würden. Das viel beschworene „Afrikanische Dorf“, das alle Kinder erzieht, gab es schon zu Urzeiten. Das afrikanische Dorf in der westlichen Welt ist die Kindertagespflege. Und es gibt nichts weiter zutun, als sie mit Bildung und Förderung zu unterlegen, und Formen zu finden, dass Eltern und Partner sich finden. 

Haben Sie sich noch nie gefragt, 

warum Mehrgenerationen Häuser an den Start gingen? Warum Kindergärten in Altenheime integriert werden? Warum das Ehrenamt in allen nur denkbaren Bereichen neu beschworen wird? Es wird auf allen Ebenen versucht, natürliche Verbünde wieder zu beleben, die der Markt samt Globalisierung aufgefressen hat. Der Grundgedanke ist gut, nur die Ausführung will sich nicht recht durchsetzen, weil widersinniger Weise stets auf die Institution als Erlöser gesetzt wird, obwohl echte Dynamik überall da zu sehen ist, wo Menschen sich zusammen tun. Diese kreativen Lösungen bedürfen längst der Unterstützung und eines gewollten politischen Rahmens. 

Welche Betreuungsform liebe Leserinnen und Leser sollte also die Nr. 1 und nicht die Alternative sein? Die Kindertagespflege! Sie ist Familie. Sie ist das Dorf. Sie bedeutet Bindung. Sie bedeutet Gemeinschaft und Freundschaft für unsere vereinsamenden Kleinfamilien. Und sie kann Bildungsort für Kinder werden, wenn Politik das will. 

Ich bin sicher, es kommt der Tag,

an dem der Bevölkerung nicht mehr glaubhaft gemacht werden kann, dass in Sachen Familienpolitik, Rente und vielfältigen anderen sozialen Belangen in anderen Ländern geht, was in Deutschland nicht geht.  

Es kommt der Tag, an dem das Flicken von Folgeschäden deutscher Unbeweglichkeit nicht mehr reichen wird. 

Den größten gelebten politischen Unwillen natürliche Familien Verbünde zu fördern, sieht man aktuell an der bewussten Fehlsteuerung der Pflege. Es kommt auch hier der Tag an dem niemandem mehr, der seinen Angehörigen selbst pflegen möchte, verständlich gemacht werden kann, dass ein Pflegedienst, der 2 Mal 20 Minuten am Tag unterstützt, 1.900 € vom Staat erhält, während der Pflegende die restlichen 23 Stunden und 20 Minuten für Umme stemmen soll. Übernimmt der Angehörige die Pflege jedoch die vollen 24 Stunden, weil 40 Minuten beileibe keine Hilfe sind, erhält der Pflegende 1000 € weniger und muss den Verdienst- und Versorgungsausfall auch noch stemmen. Wie würde die Pflegelandschaft wohl aussehen, wenn Angehörige in vollem Umfang aufgefangen würden. Wir suchen händeringend Fachkräfte für die Institution. In den Familien sind vertraute pflegende Hände vorhanden, aber sie werden bewusst im Stich gelassen.  

Vor aller Augen präsentieren sich Frau Giffey und Herr Spahn seit geraumer Zeit in un-heiligen Allianz. Einen Herrn Spahn als Gesundheitsminister einzusetzen, ist ungefähr so, als wollten wir uns den Chef der Deutschen Bank als Gewerkschaftsvertreter vorstellen. Und was würde Frau Giffey dem Chef der Deutschen Bank im stillen Kämmerlein wohl wirklich erzählen? ;-) Nun ja, lassen wir das. Herrn Spahns Lieblingssatz ist ja: Lassen Sie uns doch erst mal anfangen ;-). Er kann eigentlich gleich aufhören, denn in Wahrheit hat er keinen Plan, wohin sein Pflegeschiff eigentlich EIERN soll.      

Herr Spahn hat im Übrigen nichts dagegen, dass Altenpflege zum Rendite Objekt wird und sieht da jede Menge Luft nach oben? 

Jetzt gehen wir zum Sterben an die Börse!

Wann geht eigentlich der erste Kindergarten an die Börse? 

Lasst uns in Sachen Kindertagespflege aufhören,

um Kindeswohl und Anerkennung in diesem Kontext zu betteln. Lasst uns damit aufhören, uns desinteressierten Kommunalpolitikern an den Hals zu werfen, um ihnen eine Betreuungsform warm zu schwätzen, von der sie nichts halten. (Erst kürzlich musste ich mit Wehmut zur Kenntnis nehmen, was die frisch gegründete IG Kindertagespflege RLP nach Antrittstermin beim Land zu berichten hatte: 

Frau Ministerin und Frau Schönenberger: 

 >> zeigte sich sehr interessiert an unseren Ausführungen und versprach, sich mit dem Thema Kindertagespflege weiterhin zu beschäftigen. Konkrete Zusagen konnte sie uns allerdings nicht machen. <<   

Ihr Lieben, es tut mir ja weh, Euch das sagen zu müssen. Den gleichen Satz von Frau Schönenberger hörten ich und Wigwam bereits vor 12 Jahren. Gleiche Stelle. Gleiche Welle. Die haben den Termin mit Euch nur irgendwie hinter sich gebracht, nichts weiter. 

Entwickeln wir eine Vision einer selbstbewussten Kindertagespflege und fordern diese ein!

Zum Abschluss bewegt mich noch eine Frage:

Was treibt Politiker eigentlich dazu an, Sozial- und Familienpolitik auf jene auszurichten, die selbige missbrauchen könnten? Zum Preis, dass die große Masse der Bevölkerung, für die sie gemacht wird, durch den Rost fällt. 

Müsste auch hier nicht zuerst das "Menschenbild" auf den Prüfstand, bevor Reförmchen angezettelt werden.

Ich finde die Frage höchst überfällig.  

Herzlich

Susanne Rowley

 

Wigwam 1994
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