Sunday, 12. May 2013
Wir können den Wind nicht bestimmen
.. aber die Segel richtig setzen. Zitat *Seneca.
Wir können den Wind nicht bestimmen, aber wir können die Segel richtig setzen
*Seneca
Mit diesem Zitat liebe Wigwam-Freunde,
bedanke ich mich zunächst ganz herzlich bei Prof. Dr. Stefan Sell, für seinen Beitrag im Interview, denn er ist einer der wenigen mir bekannten Experten, die die Vorstellung zulassen, dass auch private Anbieter im Kinderbetreuungsbereich, die gewinnorientiert arbeiten, qualitativ hochwertige Arbeit leisten können, und dies nicht zwingend dazu führen muss, dass auf Kosten der Qualität in der Betreuung gespart würde.
Und warum ist das so?
Weil er den Gedanken wenigstens zulässt, das Rahmenbedingungen und somit überprüfbare Qualitätsmaßstäbe festzulegen, ein denkbarer Ansatz wäre, und weil er nicht müde wird, parallel darauf hinzuweisen, dass der Staat das Ziel seiner gestellten Aufgabe Beruf + Familie vereinbar zu machen, nicht nachgekommen ist.
Ich möchte als praxiserfahrene Frontfrau aber noch viele Schritte weiter gehen im Thema, denn ich bin nicht nur für die Gleichstellung in Sachen Förderung öffentlicher, gemeinnütziger und privater Anbieter, sondern ich zweifle aktuell und zukünftig an, das politisch Verantwortliche und kommunal Ausführende den kommenden Mammut-Aufgaben, die in Sachen Vereinbarkeit von Familie + Beruf noch auf uns zukommen, gewachsen sein werden. Und warum ich das denke, ist schnell gesagt, denn wenn ich die Winde beeinflussen will, muss ich auch was vom Segeln verstehen. Und damit wären wir beim Fakt, dass Entscheider keinen Kontakt mehr zur Praxis haben, und so sehen ihre (Nicht)Entscheidungen aus.
Am meisten stören mich
hierbei nicht nur starre Abläufe und Strukturen, sondern auch die Blüten und Wucherungen, die politische Entscheidungen in den letzten Jahren in anderen sozialen Bereichen nachweislich getrieben haben, bei gleichzeitig völliger Ablehnung, neue Lösungen für Vereinbarkeit von Familie und Beruf in nicht öffentlichen Bereichen vermehrt zu zulassen bzw. anzuerkennen.
Kein Problem scheinen die Verantwortlichen nämlich offensichtlich damit zu haben, dass die verpönten Gesetze der freien Marktwirtschaft längst in unsäglicher Weise auf Bereiche übergegriffen haben, wo sie unangebrachter nicht sein könnten. Privatisierungen bsp.weise im Gesundheitswesen sind an der Tagesordnung; hier fanden und finden sich Investoren, die mit wehrlosen Patienten maßloser Profitgier frönen. Und schauen wir auf die Hartz 4 Gesetze; wo früher noch Menschen zur „Für-Sorge“, gingen, weil sie einer solchen bedurften, werden sie heute durch und in die Mangel genommen, damit sie es ja nicht wagen, sich in der „sozialen Hängematte“ auch nur einen Moment auszuruhen. Und was es heutzutage heißt, nicht mehr zum Arbeitsamt zu gehen, sondern „als Kunde“ zu meinem Jobcenter, hat nur einen Sinn, Kosten der eigentlichen Pflicht der gesellschaftlichen Fürsorge zu senken und gleichzeitig das Bewusstsein dafür dahingehend zu verwässern, dass man dem hilfsbedürftigen Menschen suggeriert, er habe noch eine gewisse Würde und Entscheidungsfreiheit, was sich dann in der Praxis als unhaltbar herausstellt.
Derzeit ist also flächendeckend zu beobachten,
dass durch neue Begrifflichkeiten Missstände verschleiert werden. Wir reden Dinge schön, die unsere Verantwortlichen versemmelt haben, weil sie keinen Schimmer von Menschen, wahren Sachverhalten und Zusammenhängen haben. Und in der Summe ergibt das eine maximale Distanzierung von der Lösung der Probleme der Menschen und Familien, die wir völlig aus dem Blick verloren haben.
Der neueste Begriff, der jetzt herumgeistert, ist die vielbeschworene Inklusion – Amen, kann ich da nur sagen, denn auch hier werden wir uns am Ergebnis messen lassen müssen. Wahre Inklusion würde nämlich bedeuten, dass wir den Begriff überhaupt nicht brauchten. Wieder einmal wird versucht, fortschreitende gesellschaftliche Spaltungsprozesse schön zu reden, statt gleichberechtigte Beteiligung am selben zu leben. Und nicht nur mich nerven diese hochtrabenden und immer leerer werdenden Worthülsen, wie: Partizipation, Resillienz, Recovery - und alle stimmen wir ein in diesen schwachsinnigen Kanon, der uns glauben machen soll, sie könnten uns dauerhaft von den realen Folgen der Politik sozialer Kälte heilen. Das Ergebnis hat grundsätzlich natürlich auch damit zu tun, dass es bis heute nicht ins Bewusstsein von vielen Politikern eingesickert ist, dass Verantwortlichkeit auch mit dem Eingestehen von Niederlagen und Fehlern einhergehen muss, denn dann gäbe es viel schneller die Möglichkeit der Korrektur von Fehlentscheidungen, die sich in der Praxis einfach nicht bewährt haben, und würde den Weg ggf. etwas freier machen für Kooperation statt unsäglichem Konkurrenz-Gebalze, zwischen öffentlich + privat, was der Sache nicht dienlich ist.
Eine weitere Kritik zielt auf die Struktur
von Behörden ab, die ohne eine Standardisierung gar nicht auskommt, und das führt zu starren Abläufen, die den individuellen Anforderungen von sozialer Arbeit und ihrem eigentlich ganzheitlichen Ansatz nicht gerecht werden kann, auch wenn wir uns das wünschen würden. Und wer ist mehr von Kostenplanungen getrieben, als der Staatssäckel? Mal ganz davon abgesehen, dass die Kassen für soziale Bereiche immer leer zu sein scheinen, sollte gerade dieser Umstand eher dazu führen, kreativen Ideen und Ansätzen mehr Raum zu geben, statt durch staatliche Überregulation einen hohen fachlichen Ansatz vorzutäuschen, der in der Realität dann doch dem Spargedanken zum Opfer fällt.
An vielen Stellen meiner Artikel prangere ich immer wieder Machtstrukturen an, die es endlich aufzuweichen gilt, um in Bewegung zu kommen; und dazu gehört u.a., dass wir wieder dahin kommen, dass ein Staatsdiener dem Staate zu dienen hat und nicht um seiner Selbst willen Macht ausüben soll. Nur dann wäre der Weg frei, über ehrliche Grenzen des Machbaren offen zu sprechen, statt uns im Kampf gegeneinander zu verlieren. SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück wetterte kürzlich gegen "marode und unproduktive Staatsbetriebe"; ich wettere mit.
Interessant zu diesem Thema,
weil realistisch, ist dabei auch das Buch von Jule Mann; sie schrieb zum praktischen Alltag einer Behörde ein Buch, das einerseits zum Schmunzeln aber auch zum ehrlichen Nachdenken anregt: "Es gibt viel zu tun, heften wir's ab. Grüße vom Amt“. Liest man die teils heftigen Rezensionen, ahnt man schon, von welcher Seite diese kommen müssen. Allein die Tatsache, dass sie anonym bleiben möchte, niemand also wirklich weiß, wer hinter diesem Buch steht, lässt tief blicken, denn sie äußert öffentlich, was viele denken und hautnah erlebt haben:
>>Wir scheinen uns selbst um den Verstand zu verwalten.<< „Nestbeschmutzerin“ wird sie gerufen, was ja eigentlich schon eindeutig auf die Existenz eines solchen Nestes hinweist oder nicht? Ein Interview mit ihr zum Thema ist hier erschienen:
www.welt.de/vermischtes/article113553071/Ich-kopierte-leere-Blaetter-um-Ruhe-zu-haben.html.
Tun wir also nicht immer so, als würden wir annehmen, mit einer trägen übergeordneten Mammut-Schnecke, einen Blumentopf gewinnen zu können. Und tun wir auch nicht immer so, als gäben wir mit notwendigen privaten Initiativen und Veränderungen auch bei der Sorge um unsere Allerkleinsten alle Werte zum Abschuss frei, nur weil sie nicht von „Vater Staat“ verordnet sind.
Ökonomisch wirklich zählbar sind soziale Leistungen ohnehin nicht – also hören wir hier und da bitte ebenso auf, (Entschuldigung an Stefan Sell), stets der Allmacht Wissenschaft hörig zu sein und benutzen wir endlich unseren eigenen Verstand und unseren teilweise großen Erfahrungsschatz. Manchmal glaube ich, dass unsere vielen Experten gar nicht mehr wissen, wie unsere Gesellschaft in sich wirklich funktioniert, weil Ihnen immer der verdammte „Faktor Mensch“ mit all seinen leidigen Widersprüchen dazwischen funkt.
Warum also nicht mutig
mal in unsere Nachbarländer schauen, die zum Teil erfolgreich neue Wege wenigstens ausprobieren – und man lese und staune, Fehlentscheidungen hier und da (Betreuungsgeld) auch zurücknehmen. Und hören wir endlich auf bei der Deregulierung auch von sozialer Arbeit immer nur vom schnöden Mammon zu sprechen, der, lauscht man so manchem Ökonom der einzige Motor von Motivation sein soll. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass dem nicht so ist, dennoch darf und soll sich Leistung am Menschen auch lohnen, und warum bitteschön nicht auch endlich in der sozialen Arbeit?
Ist es denn nicht ein „hohes Gut“,
wenn wir Menschen, die unserer Fürsorge bedürfen, sei es im Gesundheitswesen allgemein, in der körperlichen oder psychischen Pflege, als auch in der Sicherstellung von Vereinbarkeit von Familie + Beruf aus der Abhängigkeit helfen, statt sie in derselben fest zu halten? (Zu berechnen wäre hier im Übrigen der volkswirtschaftliche Gewinn).
An vorderster Stelle für Motivation steht Erfüllung im Job und ein gutes Arbeitsklima, denn dann geht der Mensch gerne dem nach, wofür er steht. Das dürfte doch auch unsere Arbeitgeber erfreuen, heißt nämlich auch, dass sie nicht nur tolle Mitarbeiter an Land ziehen und halten können.
Reinhard Sprenger, Autor des Buches
„Mythos Motivation“ rät Arbeitgebern sogar dringend davon ab, Menschen allein mit Geld locken zu wollen, denn,
Zitat:
Wer für Geld kommt, geht auch für Geld
Wir wollen aber, dass die Menschen bleiben, und Menschen bleiben, einer Sache erhalten, wenn sie ihren Sinn tagein tagaus erkennen können und sich wertgeschätzt in dem fühlen, was sie da tun. Nicht umsonst brechen viele Menschen in einem Alter der Lebensmitte, wenn sie eine gewisse innere Reife erreicht haben, ihre beruflichen Zelte oft ab, weil sie erkennen, dass ihre vermeintliche Erschöpfung eng mit Sinnleere einherging.
Und: das tun sie im Übrigen auch dann, wenn der berufliche Schwenk mit massiven Einkommenseinbußen einhergeht.
Zum Schluss möchte ich den Bogen wieder dahinschlagen, wo ich hergekommen bin - Beides ist wahr: soziale Arbeit kann nicht unhaltbar und ohne Bremsen der freien Marktwirtschaft überlassen werden, ebenso wahr ist aber auch, dass wir im Kontroll- und Definitionswahn derselben ebenso kläglich untergehen werden, denn in beiden Fällen, verlieren wir nachweislich das Klientel, um das es gehen muss, aus den Augen.
liebe Grüße
Susanne Rowley