Friday, 9. May 2014

Autor: Susanne Rowley

Wie Frau Hinz und Herr Kunz lesen lernen, was nicht da steht

Alle Kinder lieben Wundertüten,


weil es sie mit Spannung erfüllt, wenn sie zunächst nicht wissen, was in ihnen enthalten ist. Im Erwachsenen-Jargon haben wir es selten mit freudigen Überraschungen aus harmlosen Wundertüten zutun, sondern eher mit handfesten Mogelpackungen.

In der Regel blicken wir dabei auf eine aufgeblasene Verpackung, aus der spätestens dann die Luft raus ist, wenn wir genauer reingucken. So gesehen, ist auch der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz eine Mogelpackung, und viele Eltern sind mehr als ent-täuscht, wenn sie zum ersten Mal mit ihrem „guten Recht“ näher in Berührung kommen. Im Hinblick darauf, welche Aufgabenstellung und erst recht welche Erwartungshaltung diesem Anspruch zugrunde lag – nämlich Beruf und Familie zum Vorteil für alle Beteiligten zu vereinbaren, ist es aber mehr als nur eine Mogelpackung, sondern ein Schuss ins politisch verantwortliche Knie und allenfalls noch eine wunderbare Beschäftigungsmaßnahme und Einnahmequelle für Gutachter, Anwälte & Co.

Seit 1. August 2013

haben wir ihn nun, den „ein-klagbaren“ Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem 1. Lebensjahr (§ 24 Abs. 2 SGB VIII – neue Fassung), und wie so vieles, was in deutschen Landen beschlossen wird, macht der Anspruch selbst erstmal mehr Mühe als Freude, weil er Luft und Spielraum lässt für alles mögliche Un-mögliche, und damit das Hauptaugenmerk in der Regel darauf gerichtet bleibt, dass Frau Hinz und Herr Kunz sich nur ja keinen bedarfsungerechten Vorteil verschaffen, und dabei bleibt dann leider auch fast alles, was bedarfsgerecht wäre, auf der Strecke.

Eltern haben sich also zu früh gefreut,

denn was auf der Packung drauf steht, muss noch lange nicht drin sein. Und das, was drin ist, will auch erst mal fein säuberlich definiert und gedeutet sein. Aber warum ist das so? In der Regel dient ein Spielraum, den der Gesetzgeber lässt, auch dazu, Raum zu geben für sinnmachende Ausgestaltung – also Anpassungen an Gegebenheiten vor Ort. Zur Luftnummer muss das ganze allerdings verkommen, wenn Monate vergehen, um einer Begrifflichkeit einen realen Hintergrund zuzuordnen.

Die Mogelpackung

finden wir also schon dort, wo Unsicherheiten entstehen, auf welchen „Umfang“ sicher dieser Rechtsanspruch überhaupt bezieht. Frau Hinz und Herr Kunz dachten sich beim ersten Hinsehen ganz sicher: naja nach dem zeitlichen Bedarf, den z.B. die Aufnahme einer Tätigkeit nun mal mit sich bringt. Schaut man hinein in den § 24 Absatz 1 S.3 SGB VIII richtet sich dieser auch tatsächlich (…) nach dem individuellen Bedarf. Aber was um Himmels Willen ist jetzt ein Bedarf? Und wann genau ist bedarfsgerecht gegeben? Also müssen doch die Gutachter ran. Aber auch die sind sich nicht wirklich einig, wo ein Bedarf zu beginnen und zu enden hat. Das DIJuF - Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht mit Sitz in Heidelberg - hat hierzu ein Gutachten erstellt und geht dabei von einem bedarfsunabhängigen Regelangebot und einer Angebotserweiterung bei besonderem Bedarf aus. Im Rechtsgutachten von Wiesner/Grube/Kößler hat die Festlegung eines Bedarfs im jeweiligen Einzelfall zu erfolgen, wobei sowohl das Kindeswohl zu berücksichtigen ist, als auch der individuelle Elternbedarf. Tja, letzterem würden wohl Fr. Hinz und Herr Kunz am ehesten zustimmen wollen, denn wer kann schon sicher davon ausgehen, dass ein „Regelangebot“ einem individuellen Bedarf entspricht.

Die Gutachter begutachten also - mal gut mal schlecht,

und das Ergebnis ist: die einen sagen so – die andern sagen so.

Und die Kommune darf sich nun aussuchen, welches Gutachten ihr am ehesten entspricht, oder aber der Blick fällt bestenfalls auf die Gemeinsamkeiten, die verschiedene Gutachten zusammen bringen. Glaubt man den Kommentierungen, die es zu Hauf für jene Gutachten gibt, so ist man sich einig, dass nicht subjektiv empfundene Bedürfnisse von Eltern erfüllt werden sollen, sondern Sinn und Zweck der Förderung im Auge zu behalten sind. Insbesondere sind da zu nennen: das Kindeswohl, die Förderung der Entwicklung eines Kindes, Unterstützung in der Erziehung und Bildung in der Familie, und schlussendlich die Vereinbarung von Familie und Beruf.

Klingt erstmal gut – riecht aber wieder nach Luft und Spielraum,

und so ist es dann auch, wenn wir wiederum genauer hinsehen. Es wurden Kriterien entwickelt, die zum Ermitteln des Bedarfs herangezogen werden; das ganze findet sich nun in der Neufassung des o.g. § 24 Abs. 1. Na dann müssen Frau Hinz und Herr Kunz ja nichts weiter tun, als sich jene Kriterien näher anzusehen und mit ihrem Bedarf abzugleichen.

Aber so einfach ist das nun doch nicht,

denn: Alle Bedarfssituationen, die hier NICHT aufgeführt sind, werden nach Auswertung der Gutachten wohl nur dann als Betreuungsbedarf in Betracht kommen, wenn Eltern aus >>persönlichen oder anderen auf die Familie bezogenen Gründen<< an der Betreuung ihrer Kinder gehindert werden. NEIN - Sie fragen mich jetzt bitte nicht, was genau persönliche und/oder auf die Familie bezogene Gründe sind - dazu bräuchten wir wieder ein schlechtes Gut-Achten. Warum nur habe ich jetzt das Wörtchen "NICHT" so furchtbar groß geschrieben? Weil Frau Hinz und Herr Kunz nicht schauen sollten, was dasteht, sondern eher danach, was NICHT da steht. Das heißt einerseits, dass hier in den Kriterien nichts von einem Ganztagesplatz steht; über eine Halbtagsbetreuung hinaus kann der Bedarf eher nur in Betracht kommen, wenn Eltern z.B. Sprachkurse besuchen, ihre Angehörigen pflegen, chronisch krank sind usw. Viele Hinzes und Kunzes können aber mit einem Halbtagesplatz nichts anfangen!

Müsste ich also jetzt sagen, Unglück im Glück, wenn Sie nicht krank sind?

Und schon sehen wir uns vor dem nächsten Berg von Aufgaben stehen.

Wie setze ich den Rechtsanspruch durch, wenn ich keinen geeigneten Platz finde. Und was geschieht, wenn auch bei Durchsetzung kein Platz zu haben ist. Dann müssen sich Frau Hinz und Herr Kunz eben einlesen in Sachen Schadensersatz und Kostenerstattung – Klagen ist also auch nicht so einfach, wie es klingt, denn die beiden müssen sich schon überlegen „auf WAS“ sie denn jetzt klagen.

Da sich auch hier die Gutachter und sonstigen Rechtsverdreher noch drüber beugen, ist auch hier nicht alles klar auf der Andrea Doria.

* Die Andrea Doria,

das schnellste Schiff der italienischen Flotte unternahm 1953 seine erste Jungfernfahrt und ist bereits wenige Jahre später auf dem Weg nach New York gesunken – kollidiert mit einem Liner der schwedischen Flotte. Und so lehrt uns die Geschichte auf vielschichtige Weise immer wieder, nur schnell sein, heißt nicht immer auch ankommen.

So liebe Tagesfamilien, Eltern und liebe LeserInnen, wenn Sie Fragen oder Anregungen zu den Themen haben, schreiben Sie mir. Ich hoffe, Ihnen allen geht es gut in unserer Kinderbetreuungslandschaft und ich verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Susanne Rowley

Wigwam 1994
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