Sunday, 6. July 2014

Autor: Susanne Rowley

Von einer in "förderwahnsinnige" Teilbereiche zerpflückten Kindheit

Sozialpolitik will oder kann keine Zusammenhänge sehen.


www.zeit.de/2014/24/inklusion-schule-gutachten/komplettansicht

Liebe Wigwam-Freunde,

Dieser Artikel hat auf den 1. Blick nichts mit der Kindertagespflege oder der frühkindlichen Betreuung von Kindern mit hohen Bindungsbedürfnissen zu tun – könnte man meinen. Ich poste ihn aber trotzdem, denn auf den 2. Blick hat er ganz viel damit zu tun.

Er zeigt mir

vor allen Dingen, dass wir schon so weit gekommen sind, dass wir das Leben von kleinen Menschen in zu „kurierende Teilbereiche“ zerhackt haben, die separat für sich „zur Behandlung“ vorgeführt werden müssen.

Sozialpolitik will oder kann keine Zusammenhänge da sehen,

wo sie einem geradezu ins Gesicht springen. Der Artikel handelt also für mich nicht nur vom Thema Förderbedarf von Grundschülern, sondern er führt mir vor Augen, was mit den heutigen Kleinstkindern einmal sein könnte, wenn wir nicht bald umkehren und die 1-jährigen aus den Kita-Bildungsanstalten herausnehmen, in denen Nähe, Zuwendung und eine Bindungskonstante nicht geboten werden können.

Und zum anderen sehen wir in diesem Artikel manifeste politische Krankheitschroniken, die wir aus allen sozialen Bereichen, und insbesondere aus der Kinderbetreuung, nur zu gut kennen. Die da lauten: a) Einfach machen, und nach mir die Sintflut b)

Es geht ums Geld,

von dem wir andernorts immer genug haben, nur nicht beim Kind. c) Die Schublade wird zuerst kreiert und dokumentiert – und dann rackern wir uns ab, den Menschen dafür passend zu machen.

Gelingt das nicht,

wechseln wir die Etiketten – die Schublade bleibt bestehen. Ein Denkfehler im System kommt uns nicht in den Sinn. Ich "benutze" also diesen Artikel, und erlaube mir, ihn komplett zu zerpflücken - eben so, wie wir die Entwicklung eines Kindes in seiner Betrachtung von Geburt an zerpflücken.

Ich tue das,

um einen neuen „alten“ Bogen zu schlagen, hin zum richtigen Blick auf das "ganze Kind".

Die Kernsätze, die ich dem "ganzen Artikel" quasi entrissen habe,

können durchaus alleine für sich stehen bleiben, denn sie verraten uns einzeln besehen mehr, als der ganze Artikel insgesamt herzugeben scheint, und sie entsprechen ganz eindeutig dem zerrissenen Kind, das ja offensichtlich auch schon lange keiner Gesamtbetrachtung seiner Entwicklung be-darf.

Der Mensch ist ein Ganzes – eine Summe seiner Erlebnisse ab Geburt. Und es wird uns wenig nützen, uns weiterhin nur auf "defizitäre Teilbereiche" eines nicht "normgerechten" Schulkindes zu stürzen, ohne uns der Ursache und der Wirkung vorangegangener Versäumnisse bewusst zu werden. Und wie wir lesen, hat so manch' ein Teilbreichs-Experte da auch nicht mehr viel auf der Ideen-Pfanne, als ein Achelzucken oder er ergießt sich in hilflosen Vermutungen.

Hier folgen jetzt also meine zerhackten Einzelpassagen

des Artikels. Versuchen Sie mal, liebe Wigwam-Freunde, einen eigenen Bogen beim Lesen zur derzeitigen Kleinkindbetreuung, in der Bindung kaum noch eine Rolle spielt, zu schlagen, und Sie kommen gewiss auch ohne mich auf die ein oder anderen Gedanken, die ich dabei hatte.

1. Ein Gutachten hat ihr "sonderpädagogischen Förderbedarf" bescheinigt, weil sie an schlechten Tagen ihr Heft durch die Klasse wirft. Man könnte diese Diagnose auch so übersetzen: Lea fällt aus der schulischen Norm.

2. "Wie es zu dem bundesweiten Anstieg von Kindern mit Förderbedarf kommt, ist nicht belegt", sagt der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm. "Es gibt nur plausible Vermutungen."

3. Je mehr Schüler einer Regelschule das Etikett Förderbedarf bekommen, desto mehr Anspruch hat die Schule auf zusätzliche Gelder und Kräfte. Auf diese Weise entsteht ein Anreiz, immer mehr Diagnoseverfahren anzustoßen. Auch deshalb könnte die Zahl der Förderschüler gestiegen sein.

4. Experten sind sich auch darüber einig, dass inzwischen mehr Kinder mit großen Schwierigkeiten in die Schule kommen. Und gerade Schüler mit auffälligem Verhalten, die andere ärgern, schlagen, sich dem Lernen verweigern, ließ man bisher vielleicht noch ohne "Etikett" mitlaufen.

5. Die bundesweit größte Gruppe der Schüler mit Förderbedarf – und das sind rund 40 Prozent – fällt in die Kategorie "Lernen". So wie Lea. Nimmt man noch die Kinder aus den Bereichen "Sprache" und "emotionale und soziale Entwicklung" dazu, machen sie fast Dreiviertel aller Schüler mit Förderbedarf in Deutschland aus.

6. "Bisher schieben wir es immer den Kindern in die Schuhe, wenn ihre Voraussetzungen nicht mit den Erwartungen der Schule zusammenpassen", sagt Andreas Hinz, Professor für Sonderpädagogik an der Universität Halle. "Dann bekommen sie das Etikett Förderschüler." Man müsse aber vielmehr umgekehrt fragen: Wie muss sich die Regelschule verändern, damit sie diesen Kindern gerecht wird? "Wenn Inklusion einen anderen Umgang mit Menschen bedeutet, haben solche Etikettierungen da nichts mehr verloren.

7. Die Abkoppelung von Diagnosen und Ressourcen wird kritisch gesehen. Wenn das "Gießkannenprinzip" gelte, komme die Hilfe nicht immer dort an, wo sie gebraucht werde. (..) "Gerade Kinder mit emotionalem und sozialem Förderbedarf brauchen stabile Bezugspersonen.(..) Noch ist es eine Utopie, dass Kinder wie Lea auch ohne den Stempel der Lernbehinderung im Unterricht die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Und man das Etikettieren von Kindern endlich abschafft.

Ich nehme an, Sie denken das gleiche wie ich?

Oder denken Sie vielleicht, die macht es sich gerade ziemlich einfach? Ich bin für beide Sorten von Kommentaren offen. Ich finde es ist sogar allerhöchste Zeit, dass wir mal wieder SO EINFACH denken, denn so klar ist die Natur. Warum scheren wir uns nicht früher um die im Artikel benannten "stabilen Bindungsbeziehungen"?

Punkt 3 zeigt deutlich auf – es geht nicht um die Kinder – es geht ums Geld – auch wenn man es den hilferufenden Lehrern, die auch nur ein Rad des kranken Systems sind, an dieser Stelle nicht verdenken kann.

Punkt 6 + 7 zeigt deutlich auf, dass Systeme nicht für den Menschen da sind, sondern der Mensch ins System zu passen hat. Und passt er da nicht hinein, hat er den Stempel auf der Stirn.

Finde den Fehler

Punkt 4 + 5 + 7 könnte ein zarter Hinweis darauf sein, was uns hier bereits beschert ist, erwartet uns in der Zukunft garantiert zu Hauf, wenn wir weiter dabei zusehen, wie unsere 1-jährigen emotional verhungern, während wir deren „Bildungsfortschritte“ im Hinterzimmer eifrig schriftlich dokumentieren.

Ich prangere

also wie der Artikel die Abkopplung von >> Diagnosen von Ressourcen << an.

Ich prangere im selben Atemzug

die Abkopplung des kleinen Menschen von seinen natürlichen Kindheitsbedürfnissen an. Ich prangere an, dass auch Inklusion infolge zunehmend zu einem Thema verkommen muss, das den Namen bald nicht mehr verdient. Die Kinder leiden nicht erst in der Grundschule, sondern schon weit vorher. Und Kinder profitieren eben nicht von einer Katalogisierung von Geburt an, die dann bei entsprechend entwickelter "Fehlfunktion" gnädiger weise in „gesundes“ Material - begleitet von umfangreichen Fördermaßnahmen - wieder eingeebnet und passend gemacht werden muss.

Das System muss für den Menschen gemacht werden -

und nicht der Mensch fürs System. Und ich möchte endlich unsere Allerkleinsten wieder eine Kindheit leben sehen!

Einen schönen Restfeiertag wünscht

Susanne Rowley

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