Sunday, 7. February 2021

Autor: Susanne Rowley

Treffen sich 2 von Mars und Venus

Ein Interview zum System Kita, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Liebe Wigwam Freunde, liebe Tagesmütter und -väter, liebe Eltern, 

Da sprechen 2 miteinander. 

Einer, der das System Kita mit einer Revolution von unten zu verändern hofft, und einer, der die gesamte Kita Baustelle sofort schließen würde.   

Hier geht's zum Interview:

» Kita Helden im Gespräch mit Gerald Hüther.

In diesem Interview treffen sich also 2, die sich ganz viel zu sagen haben. Und sie halten durch, obwohl eine Brücke zwischen ihnen nicht zu schlagen ist. Genau aus diesem Grund halte ich dieses Gespräch für das aufschlussreichste und aktuell professionellste, das im Netz zur frühkindlichen Bindung und Bildung zu finden ist. 

Ist das nun allein eine Frage der Generationen? 

Jung und dynamisch trifft auf reif und abgeklärt? 

Machen Sie sich selbst Ihr Bild, liebe Wigwam Freunde.

Eindrücke, die ich als Wigwam Gründerin mitgenommen habe:  

Der Interviewte, Gerald Hüther, lässt den Interviewer, Andreas Ebenhöh, schon in den ersten Sekunden ungeschönt wissen, dass er im Grunde aufhören kann mit dem Strampeln an der Basis in einem von Grund auf kranken System.  

Wenn das System, in dem unsere Kinder sich bewegen sie krankmacht, möchten viele verständlicherweise etwas daran ändern. Auch ich gehörte viele Jahre zu dieser Fraktion. Ich glaubte daran, dass man ausgehend von der Basis nur lange genug etwas wiederholen müsse, dann würde es schon…

Die einen bewegen sich also „im System“ und versuchen es von unten zu revolutionieren, die anderen verlassen das System, um lebenswerte Inseln zu schaffen. Nach annähernd 30 Jahren Wigwam ordnen wir uns bewusst nur noch der zweiten Gruppe zu. Es ist nicht Resignation, sondern die gewachsene Erkenntnis in mir als Gründerin gereift, dass das System selbst keine Systemänderung in sich zulassen kann, weil eine Abschaffung seiner selbst damit einhergehen müsste, möchte man in der Kernforderung nach Kindeswohl keine faulen Kompromisse eingehen. 

Und genau das arbeiten beide wertschätzend im Gespräch heraus.  

Zuhörer und Zuseher des Interviews trifft sodann ernüchternd am Ende des Gespräches der Fakt, der alle Systemfragen abschließend beantwortet. Hier erfährt Andreas Ebenhöh von den Kita Helden, dass Herr Hüther bereits im Herzen der Macht – dem Bundeskanzleramt – mit seinen Ansichten und Forderungen nach Kindeswohl angekommen ist. Eine Kommission berät die Bundesregierung lange schon dahingehend, wie die Zukunft des frühkindlichen Lernens aussehen könnte.

Da wurde ihm gesagt. Geht alles nicht!

Denn: Niemand würde die Entscheider noch wählen, wenn Kinder nicht mehr angetrieben werden. Aus der Nummer kommt keiner mehr raus, auch nicht international. Denn längst verrät uns eine Pisa Studie regelmäßig, welches Land die doofsten Kinder hervorbringt.  

Mit diesem Wissen lässt sich erklären, was wir, die wir uns täglich „von unten“ bemühen, die Revolution in Gang zu setzen, hinter die Ohren schreiben sollten.

Wo kein Wille ist, wird kein Weg sein.  

Also ist auch mein Rat an alle, die etwas verändern möchten:

Finden Sie andere Wege. Treffen Sie frühestmöglich eine Entscheidung, ob Sie Ihr Leben mit dem zermürbenden „Kampf gegen etwas“, oder mit dem "Einsatz für etwas“ verbringen möchten.

In diesem Gespräch möchte Andreas Ebenhöh, der mit seiner Initiative „Kita Helden“ an den Start gegangen ist, um für Kinder und Fachpersonal das frühkindliche Bildungsleben zu verbessern, erfahren, was Gerald Hüther als Hirn- und Bildungsforscher seinerseits an Erfahrungen beitragen kann. 

Andreas Ebenhöh startet mit der Frage:

Was ist die Aufgabe einer Kita:

Gerald Hüther:

Es ist die Aufbewahrung der Kinder, damit die Eltern arbeiten gehen können. 

Peng!

Was ist die Aufgabe einer Schule:

Ausbildung. Aufbewahren. Aussortieren. 

Peng! Peng!

Andreas Ebenhöh:

Welche Aufgabe von Bildung und Erziehung haben Eltern.

Gerald Hüther:

Sie sind die einzigen, die diese Verantwortung wahrnehmen können.

Klar wird in diesem Gespräch also sehr schnell, worüber sich die Gesellschaft nicht verständigen kann:

Was Bildung eigentlich sein soll.

Aus-Bildung ist nicht gleich Bildung. Wirkliche Bildung würde darauf abzielen, Kindern einen individuellen Weg zu bereiten für ein späteres gelingendes Leben.

Was brauchen Kinder also um glücklich zu sein?

Sie brauchen eigentlich recht wenig, denn Kinder bringen lt. Hüther das Glück schon mit auf die Welt.

2 Bedürfnisse sind vorhanden:

Das Bedürfnis nach Verbundenheit

Das Bedürfnis nach autonomer Gestaltung

In der Praxis heißt das, dass Kinder in einer Gemeinschaft aufwachsen sollten, die ihnen das Gefühl gibt, dass sie so, wie sie sind, genau richtig sind; dass sie zeigen können, was sie draufhaben; dass sie von anderen nicht er-zogen und zurecht-gestutzt werden, sondern den Raum erhalten, der es ihnen ermöglicht, die in ihnen angelegten Begabungen auch zur Entfaltung zu bringen.

Wer kann eine Bindungsperson für Kinder sein?

Andere.

Dabei kommt es nicht auf die Dauer des Zusammenseins an, sondern auf die Intensität. Damit ist nicht die immer wieder gerne zitierte „Quality time“ gemeint, die sich mal ein bisschen befasst, wenn gerade Zeit ist, sondern eine Grund Atmosphäre, in der ein Kind zutiefst spürt, dass es angenommen wird, dass das Zusammensein jetzt gerade bedeutsam ist, dass es sich nicht anstrengen muss, um dem anderen zu gefallen.

Unsere moderne Zeit erwartet, dass Eltern damit befasst sind „etwas aus ihrem Kind zu machen“.

Klarste Worte findet Hüther auf Nachfrage, wer die Bindungsperson sein kann.

Betreuungspersonen in einer Institution, die für einen Teil des Tages „zuständig“ sind, können dies nicht erfüllen. Dies ist nicht als Vorwurf an diese Menschen zu verstehen, sondern liegt an dem zum Scheitern verurteilten Versuch, Nähe Institutionalisieren zu wollen.

Neben den institutionalisierten Rahmenbedingungen oder auch Systemen, die wir als moderne Gesellschaft ersonnen haben, appelliert Hüther an den gesunden Menschenverstand, der am besten funktioniert, wenn er sich gerade nicht sinnlosen Studien und überfrachteten Evaluationen bedient. 3-5 Kindern kann sich eine Person widmen. Also genau so vielen, wie in der Regel eine Familie ausmachen.

Gerald Hüther benennt die Dinge nüchtern, wie sie tagtäglich sind.

Er entlarvt auch jene Fragestellungen, die ihrer Natur nach schon „System verwickelt“ daherkommen, woraufhin eine wie auch immer geartete Antwort den Kern eines frühkindlichen Anliegens schon nicht mehr treffen kann.

Der Kampf hört auf, wenn Institution endlich aufhörte Familie spielen zu wollen. Denn sie ist es nicht.

Institution kann aus-bilden und bei-bringen. Sie ist nicht dazu angetan, Potential zu entfalten.

Wie das Leben geht, können Kinder nur „im Leben“ lernen.

Und er benennt Werkzeuge des Lebens:

Einfühlungsvermögen. Erkennen, was in meinem Gegenüber vorgeht. Seiner Wahrnehmung vertrauen.

Die Fähigkeit sich selbst anzuschauen, zu reflektieren und zu hinterfragen. Die Fähigkeit sich zu kümmern und Verantwortung zu übernehmen. Handlungsplanung, Folgenabschätzung, Impulskontrolle. Frustrationstoleranz.

Kita ist der Versuch, differenziertes Aufwachsen von Kindern schwarz weiß zu gestalten.

Die Welt scheint modern. In Wahrheit haben sich die alten Denkmuster erhalten. Wir gehen immer noch davon aus, dass man Menschen abrichten kann, mit einem Stopfer von oben etwas einfüllen, damit unten das Gewünschte herauskommt.  

Die Gesellschaft möchte, dass der Neuankömmling ins Raster passt. Wie ein Gärtner eben, der seine Pflanzen dergestalt zuschneidet, damit der größtmögliche Ertrag dabei herauskommt.

Unser Bildungssystem setzt auf Training. Unterricht. Belehrung. Gerne auch mit Belohnung und Bestrafung.

Auch Elternkurse, die im Gespräch sind, sind wiederum der Versuch von außen zu intervenieren, statt hervorzubringen, was von innen nach draußen will.

Die Frage also ist nicht:

>> Was soll aus dem Jung mal werden. << Sondern >> Was will aus ihm raus. <<

Doch wie schafft man das auf Elternebene?

Hüther schlägt vor, Eltern „zu berühren“. 

Doch wie berührt man Menschen.

Wir alle kommen auf die Welt mit Potential. Treffen sodann auf Strukturen, die vorgegeben sind. Der kleine Mensch landet in Kulturkreisen, in systemischen Verhältnissen. Der kleine Mensch hingegen bringt Bewegungsdrang, Entdeckungslust, Gestaltungsfreunde, Mitgefühl als natürliche Hilfsmittel mit auf die Welt. Um obigen systemischen Verhältnissen gerecht zu werden, ein Teil der Gruppe zu werden, muss oftmals alles Lebendige unterdrückt werden. Ab einem gewissen Punkt schaffen Kinder das auch selbst. Sie zähmen sich, um dazu zu gehören. Gelingt ihnen das nicht, findet die Gesellschaft Mittel und Wege die Konformität zu erreichen. Wir kreieren z.B. Krankheiten, die es schon frühkindlich zu behandeln gilt.

Der Fachkraftmangel in unserem selbst geschaffenen System trägt fortgesetzt dazu bei, dass in den Einrichtungen, die ohnehin die falschen Orte für Kleinstkinder sind, weiter optimiert wird, damit die Fachkräfte selbst das überhaupt noch schaffen. Das Kind geht im Strudel der Bedürfnisse unter. Die eigene Unfähigkeit der Systeme wird Kindern in Form von System Optimierung übergestülpt. Denn da all das nicht funktioniert, muss einer schuld sein. Das ist u.U. das Kind. Das Kind ist nicht richtig. Es ist krank. Es ist auffällig. Es passt nicht ins System. 

Die Lösung für unsere Kinder kann lt. Gerald Hüther zukünftig nur sein, dass die „System verwickelten“ Erwachsenen, die einst selbst ihre Bedürfnisse unterdrücken mussten, wieder in Kontakt kommen, mit ihren Ur eigenen Bedürfnissen.

Hüther führt an, dass besonders die "System verwickelten" Menschen erfolgreich sind. Eine Weiterentwicklung ist für sie selbst im System nur noch möglich, wenn Steigerungen auf der gleichen System Spur angestrebt werden. Noch mehr Geld. Noch mehr Immobilien. Manchmal endet die Verwicklung in einem Burn Out, der sowohl Vernichtung also auch letzte Chance sein kann, sich selbst wieder zu finden – eben wieder zu berühren.

Berührt werden kann man in der Begegnung mit anderen. Am besten mit denen, die noch nicht verwickelt sind. 

Und damit schlägt Hüther die entscheidende Brücke zum Kind zurück.

Sie sind es im Kern, die noch offen sind.

Zu Ende gedacht bedeutet das, 

eigentlich sind Kinder Entwicklungshelfer für Erwachsene.

Einer, der bei sich ist, und weiß was er will und was ihm guttut, ist im Grunde ein Totalausfall für das System. Unsere Gesellschaft ist auf stetiges Wachstum ausgelegt. 

Aber wo lernen Kinder jetzt? 

Auch diese Frage lassen die beiden nicht aus. 

Am ehesten da, wo Menschen authentisch sind. Dieser Punkt führt die beiden Protagonisten zu der Frage, was denn von fachfremden Menschen in Einrichtungen zu halten wäre. Auch hier sind wir ganz im System „verhaftet“. Wir dulden keine nicht Pädagogen in Einrichtungen. Lehrer wollen nicht mit Erziehern verglichen werden, Erzieher nicht mit Kindertagespflegepersonen. Auch von diesem Fach Neid speist sich das System und seine Nichtveränderbarkeit.

Denn der gezielte Tritt nach vermeintlich "unten", sichert dem System seine Beständigkeit. 

In der Praxis laufen kleine Kinder also schonmal dem Hausmeister der Kita hinterher, weil der hat was zu tun, der hat eine Aufgabe. Der ist echt. Hüther fordert sodann: Kinder darf man nicht mit Menschen zusammenbringen, die an dem was sie tun keine Freude haben.

Mehr Kopf statt Herz prägen das kranke System.

Das kann passieren, wenn Menschen die guten Willens mal Pädagogen wurden, vom System und seinen Zwängen dahingerafft werden.

Wichtiger wäre es, sein Herz zu öffnen für das, was bei aufwachsenden Kinder geschieht. Ein Kind kommt als Subjekt auf die Welt. Es ist Gestalter seiner selbst. Im Laufe der Bildungszeit wird es zum Objekt der Erwartungen, der Belehrungen, der Bewertungen, der Maßnahmen. Dass alles verletzt das Kompetenzgefühl eines Kindes nachhaltig. Und es wird diese Verletzung zulassen (müssen), weil es dazu gehören will.

Die Gesellschaft sollte vielmehr anstreben, Kinder auf ein Lernfeld zu führen, das es ihnen ermöglicht, ihr Leben zu meistern.

Und damit schießt sich der Kreis aus meiner individuellen Sicht erneut: 

Die frühkindliche Bildung unserer Kinder ist eine Zivilgesellschaftliche Aufgabe, die sich weder heute noch morgen institutionalisieren lässt. 

Die Kita ist eine Institution mit klar umrissenen Aufgaben und Möglichkeiten. Kita ist nicht Familie und auch nicht familiäre Erweiterung, und sie kann auch nicht Partner von Eltern sein. Sich für diese Betreuungsform frühkindlich zu entscheiden, ist auch eine Entscheidung für das System, in dessen Grenzen sie sich bewegen muss. 

Es grüßt herzlich

Susanne Rowley

Wigwam 1994
Anerkannte Bildungseinrichtung
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