Saturday, 20. December 2014

Autor: Susanne Rowley

Traurige Ergebnisse einer durchgetakteten Erziehung

von der Wiege bis zur Bahre


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Liebe Wigwam-Freunde,

Was sagen Sie dazu?

«Wir sind alle nur Kümmerversionen dessen, was wir sein könnten»

Wow - hammerharte Aussage. Ich übersetze mal, was ich gleich im Anschluss dachte: give people responsibility and they'll take it; give them rules and they'll switch off? Oder doch eher so: Darf ich mich MIR kurz vorstellen, ich kenn' mich ja noch gar nicht .

Lange schon konnte ich mich nicht mehr einem so guten Artikel, wie diesem hier intensiv zuwenden, weil mir keiner mehr vor die Augen kam. Die Überschrift, die ich dazu erwählt habe, stellt keine Leistungsaufforderung dar, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sondern kann trauriges Ergebnis einer durch getakteten Erziehung sein, die an der Wiege beginnt und oft leider bis zur Bahre kein Ende gefunden hat. Der Artikel handelt von Vielem und doch nur von einem Thema, das einen unbestreitbaren Zusammenhang aufweist. Dem früh gesäten Gefühl anderen gefallen zu müssen, gefolgt von der stummen Aufforderung auf vor-betonierten-Wegen zu gehen, bis hin zu einer Arbeitswelt, in der der Rest auch noch verkümmert.

Hüther beschreibt in diesem Artikel sehr anschaulich, woran es liegt, dass Begabungen und Talente von Kindern sich nicht mehr ent-falten können, weil sie zu früh in scheinbar sichere Bahnen gelenkt und damit teil-, zeitweise oder gar lebenslang erstickt werden. Einen wichtigen Anteil daran, dass es ihm selbst nicht so ergangen sei, schreibt er seiner Großfamilie zu, die ihm wie zufällig einfach Raum und Luft zum „Sein“ und „Sich versuchen“ gelassen habe. Er hatte also offensichtlich nie das Gefühl, anderen gefallen zu müssen, war der Liebe seiner Nächsten sicher, und damit war er auch nicht gehalten, anderen etwas Recht zu machen, was ihm nie entsprochen hätte.

Warum Kinder genau DARAUF so unglaublich angewiesen sind, erklärt sich allein schon daraus, dass sie naturgegeben in jungen Jahren „ihren Weg“ noch nicht kennen können; also ist es wichtig, den Weg zwar zu ebnen, jedoch nicht vor-zu-betonieren – und vor allem nicht ihre Suche nach sich selbst dadurch zu stören, dass sie auf einer ganz anderen verzweifelten Suche sein müssen, nämlich nach dem, was ihnen ungefragt zusteht: und das ist Liebe und Zugehörigkeit!

>> Heißt das, Eltern sollten sich nicht zu sehr um ihre Kinder kümmern? <<

Nein, das heißt es perse natürlich nicht. Die Frage ist, worin das Kümmern besteht. Ist es ein Begleiten und ein Fördern von sichtbar werdenden Talenten, oder ist es eher ein Optimieren und Vorzeichnen eines Weges. >> Damit nehmen wir den Kindern die Chance, sich selbst zu befragen, herauszufinden, was sie selber wollen. << Er erzählt: Er durfte viel Zeit in Kinder- und Jugendgruppen verbringen, in Vereinen und mit Handwerkern. So fand er heraus, was ihn anzieht. Das sei heute nur noch wenigen Kindern vergönnt, weil Eltern ihre eigenen Sehnsüchte, ihr ungelebtes Leben auf ihre Kinder projizierten. Man könne das Hirn im Laufe seiner eigenen Entwicklung ruinieren und das seiner Kinder obendrein. <<

Ich denke, das Fatalste an einer durch optimierten Kindheit, die immerhin später von sich sagen muss (als Rechtfertigung) oder darf (vor etwas zugeneigterem Publikum): „Wir haben nur das Beste gewollt“, ist, dass Kinder immer versuchen werden, die Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen, selbst dann noch, wenn sich im Schulalter der innere Rebell schreiend meldet, denn "in der Regel" siegt die Angst vor dem Verlust der Liebe und so bleiben Kinder auf von außen gewünschten Pfaden. Hüther: >> Etwas Eigenes aufzubauen gelingt nur, wenn wir früh die Erfahrung machen, dass wir die Gestalter unseres Lebens sind. Dafür braucht es Gelegenheiten, Freiräume ohne Förderung und Programm, auch ohne TV-Programm. Wird die Gestaltungskraft nicht entwickelt, bleibt nur die Hoffnung auf Veränderungen von außen. <<

Und wer kennt es nicht von sich selbst und von Menschen in seinem Umfeld, die sagen, dass sie erst mit Mitte 40 zum Autor und Steuermann ihres Lebens wurden – wie schade um die bis dahin vergangene - manchmal auch als verloren zu bezeichnende - Zeit.

Wer mich kennt, weiß, dass ich mich sehr für „Zusammenhänge“ interessiere – auch und gerade für solche, die auf den ersten Blick nicht als zusammenhängend daher kommen. Von daher ist es wichtig, sich mit den Folgen verpatzter Lebensstadien früh auseinander zu setzen, damit das nächste Stadium die Chance hat, von mir bestimmt zu werden. Ich schrieb daher einmal einen Blog von einer in „Teilbereiche“ zerpflückten Kindheit, in der in jeder Phase von "Experten" versucht wird, die Folgen der vorhergehenden Phase zu reparieren – ohne auf die Phase noch achten zu können, die aktuell zu leben ist. Das Reparieren wollen ist zu loben, aber wären wir anders ins Leben gestartet, müssten sich nicht andere als Werkstatt verstehen, sondern könnten mit unseren aktuellen Potentialen umgehen. Wer sich in Sachen Bildug und Bindung nicht für Zusammenhänge interessiert, begibt sich aus meiner Sicht in die Gefahr, ein Leben lang dem Kern des Problems nach zu hechten und ggf. irgendwann keine Chance mehr zu haben, Ursachen, die sich wie ein roter Faden durch’s ganze Leben ziehen, zu finden.

Wie extrem wichtig ein solcher Über-Blick sein kann, sehen wir schon an den Spielzeugen, die uns die Konsumgesellschaft zum Fraß vorwirft. Es blinkt und tutet von ganz alleine, wir sind also nicht Gestalter, sondern doofer Nutzer eines fertigen DINGSBUMS ohne Möglichkeiten – und ja, darin steckt bereits das erste Erfahrungspotential, und zwar nicht nur die Sicht, wie bunt die Welt doch sein kann, sondern die Erfahrung, dass wir nur beobachten ohne "Anteil" zu haben. Es beginnt schon im frühesten Kleinkindalter, und ich sage es ganz deutlich: Ich finde es überhaupt nicht weit hergeholt, dass diese frühe Erfahrung dazu beitragen kann, dass ich später nicht weiß, wo ich mein Ei hinlegen will..

Also muss zunächst einmal der Hafen in Ordnung sein, der Hafen, von dem aus ich ins Leben los segeln möchte. Ein gestilltes Bedürfnis nach Anerkennung und Zugehörigkeit gibt den kleinsten Menschen ein sicheres Gefühl, sich der weiten Welt mit allem werden wollenden Potential zuzuwenden, sich ihr einfach zuzumuten, sie mit zu gestalten. Echtes Spiel-zeug, mit dem man auch wirklich „Spielen“ kann, tut dann sein Übriges. Und darum liebe ich auch Wigwam-Stübchen besonders, die mit einfachsten Materialien hantieren, seien es Kartons, Holz, Steine und Kastanien usw.

Zurück zum Artikel.

Erziehungsmethoden treffen natürlich auch immer auf den Zahn der Zeit, und so weist Hüther zu Recht darauf hin, dass sozusagen eine ganz neue Mixtur von Erziehung und späterem Arbeitsleben entsteht. >> Die Erwartung, sich im Beruf verwirklichen zu können, ist ein relativ neues Phänomen. Frühere Generationen kannten übergeordnete Instanzen, denen sie ihr Ego unterordneten. Wer religiös war, versuchte, gottgefällig zu leben, andere fühlten sich dem Arbeitgeber verpflichtet. << Heute dominiert die nüchterne Lohnarbeit. Oder aber der Wunsch darauf zu pochen, dass er nebst Geld auch Erfüllung bekommt. Das ist dann der Fall, wenn er durch seine Tätigkeit zu einer Gemeinschaft gehört, und wenn er dort in Freiheit und Verbundenheit zeigen kann, was er drauf hat. (So erklärt sich ganz sicher auch der Pensionierungsschock: Man wird zwar von der Arbeitspflicht befreit, schwerer wiegt aber bei den Meisten der Verlust der Zugehörigkeit + der Sinnverlust).

Wo landen also unsere Kinder der unterschiedlichsten Erziehungsmethoden. Treffen sie auf Effizienz getrimmte Konzerne oder finden sie einen Job, in dem auf innovatives Denke Wert gelegt wird? Wie zahlreich sind die Arbeitgeber aktuell, die begriffen haben, dass Gestaltungsspielraum, die Lust am Schenken weckt und sie bekommen, was sie gegen Bezahlung gar nicht einfordern könnten. Hüther: >>Peitsche und Incentives setzen, gibt es noch immer << Aus meiner Sicht fehlen viele Unternehmen, die auf ernsthafte Beziehungskultur setzen. Gleiches gilt für den Machtapparat des Staates, der hiervon „in der Regel“ noch nichts gehört hat:

give people responsibility and they'll take it; give them rules and they'll switch off.

Was nun ist den Kindern zu wünschen, die gefordert sind, sich einerseits im Erziehungsurwald und andererseits in einer Effizienz orientierten Arbeitswelt nicht verlieren „zu sollen“. Dazu hat Hüther einen ganz netten spielerischen Rat:

>> Er soll sein Standbein vorerst beibehalten und sich ein Spielbein aufbauen<<

An dieser Stelle musste ich wirklich schmunzeln, denn einerseits war ich gerade furchtbar froh, erwachsen zu sein – andererseits muss ich zugeben, ich hatte persönlich immer 2 Spielbeine, und kann von daher offensichtlich froh sein, ein Standbein aus einem spielerischen entwickelt zu haben . Uffz

Allen Erwachsenen, die sich durch sämtliches Gestrüpp gekämpft haben, sei zu wünschen, dass sie VOR der Bahre dazu kommen, sich zu fragen: Was will ich wirklich? Warum will ich hier unterwegs sein? Was kann ich bewegen? Hüther: >>Diese elementaren Fragen liegen oft tief verborgen, zugeschüttet mit Alltagsmüll, verdrängt durch tägliche Geschäftigkeit. << >>Die heutige Wirtschaftswelt basiert meist auf Wachstum statt auf Ethik – dadurch werden Menschen gefördert, die funktionieren, aber nicht mehr sie selbst sind. <<

Guten Tag, darf ich mich mir vorstellen – ich kenne mich noch nicht.

Und abschließend streift Hüther auch noch jene, an die wir uns klammern, wenn wir den Überblick verloren haben. Die Wissenschaft. Auch hier wäre bei manch‘ einem zu wünschen, dass er/sie sich nicht nur in reiner Analytik und der „Zerlegung" des Wissens in immer weitere kleine Bestandteile versteht, sondern mehr den Menschen als Ganzes in den Fokus rückt. Denn sonst entfernt Wissenschaft sich auch noch vom Menschen und damit vom Überblick, den sie uns eigentlich mal verschaffen wollte.

Eure Susanne Rowley

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