Saturday, 1. May 2004

Autor: Susanne Rowley

Tabuthema: "Darüber spricht man nicht"

Konflikte Tagesmutter & Eltern


Hallo liebe Wigwam-Freunde, Heute möchte ich mich einem

Tabu-Thema

widmen, das uns allen nicht fremd ist. Ich würde mich über zahlreiche Resonanz hierzu sehr freuen! 

Darüber spricht man nicht ..

Ok - wenn wir so etwas hören oder lesen, dann reden wir erst recht darüber. 

Kürzlich ruft mich eine Mutter

nach erfolgreich abgeschlossener Eingewöhnungsphase mit Ihrem Kind bei der Tagesmutter an, um mir vom allgemeinen Verlauf zu berichten. Kurz vor Ende des Telefonates hat sie plötzlich das Bedürfnis noch etwas für sie Belastendes loszuwerden. Sie sagte: "Ich hätte da noch einen kleinen Tipp zur Schulung Ihrer Tagesmütter - ich finde es nicht so günstig, wenn meine Tagesmutter zu mir sagt, dass sie im Grunde findet, dass eine Mutter die ersten 3 Jahre mindestens bei ihrem Kind zu Hause bleiben sollte und mir dann noch mit freudestrahlenden Augen erzählt, wie froh sie doch ist, nicht in meiner Haut zu stecken. Können Sie ihren Tagesmüttern bitte mal verdeutlichen, was ein solcher Ausspruch bei uns arbeitenden Müttern unterschwellig auslöst?"

Ja, dieser Konflikt ist mir nicht fremd.

Und auch ich selbst habe schon bei der ein oder anderen Mutter, die hier im Büro nach 50-Stunden-Betreuung pro Woche gefragt hat, das Gefühl entwickelt: muß sie denn das 3. Kind noch haben, wenn sie ihr Arbeitspensum nicht zurückschrauben kann? 

Tja, der lebende Vorwurf "Tagesmutter" -

sie ist zu Hause bei ihrem Kind - steht da der arbeitenden Mutter gegenüber. Der Ausspruch, dass eine Mutter bei ihrem Kind bleiben sollte/möchte, ist einerseits verständliche Grundmotivation für Tagesmütter, von zu Hause aus einen Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie zu leisten, auf der anderen Seite irgendwie kein guter Startgedanke, um mit einer Mutter, die ihr Leben mit Kind ganz anders plant, umzugehen. Auch in den allfreitaglichen Tagesmutter-Treffen im meinem Büro kommen diese Themen immer wieder auf den Tisch. Aber wie nun richtig damit umgehen? Diesen Widerspruch in sich zu verdrängen, kann wohl kaum die richtige Antwort darauf sein. So, wie die abgebende Mutter ein Anrecht darauf hat, zu erfahren, was die Grundmotivation einer Tagesmutter wirklich darstellt, Kinder zu betreuen, so sollte sich auch die Tagesmutter verantwortungsbewußt Gedanken darüber machen, wie sie ihr eigenes Wertesystem mit dem der arbeitenden Mutter abgleicht. "Das ist doch mein Job - Tagesmutter sein ist mein Beruf - in die Hintergründe misch ich mich nicht ein", äußerte kürzlich eine Tagesmutter zu diesem Thema in meinem Büro. Die Frage ist jedoch, genügt es wirklich so einfach eine "berufliche Abgrenzung" zu diesem Thema vorzunehmen und sich weiter keine Gedanken zu machen? 

Ich glaube sehr wohl,

dass es auf die Qualität der anschließenden Betreuung des Kindes durchaus massiven Einfluß haben kann, wenn die Tagesmutter den Gründen der abgebenden Mutter arbeiten zu gehen, bewußt oder unterbewußt skeptisch gegenübersteht. Von daher halte ich es für unbedingt notwendig, dass sich eine Tagesmutter ausreichend Gedanken dazu macht, wie sie zu den Hintergründen wirklich steht, die eine Mutter dazu bewegen ihr Kind abzugeben. 

Welche könnten das sein?

Viele Mütter haben ganz einfach Spaß an ihrem erlernten Beruf und können sich nicht vorstellen, ihrer vorhergehenden Tätigkeit 3 Jahre und mehr fernzubleiben. Viele sind gehalten, ihre Ausbildung oder Umschulung zu beenden, weil die Schwangerschaft überraschend dazwischenkam und zu dieser Unterbrechung führte. So manch eine Frau muß bei allzugroßer Berufspause ernsthaft fürchten, dass ihr Sessel besetzt sein wird, den sie einst mit viel Mühe ergatterte. Die Selbstverwirklichung ist für viele Frauen ein wichtiger Grund, die Arbeit schnell nach der Geburt wieder aufzunehmen. Immer mehr Frauen sind zudem heutzutage allein Erziehend und voller Alleinversorger ihrer Familie. Die Angst vor dem sozialen Abstieg oder der Wunsch, unabhängig von Sozialhilfe zu leben, drängt die Mütter in die Arbeitswelt. Es gibt jedoch auch Mütter, die mit der alleinigen Verantwortung für die Erziehung ihres Kindes einfach überfordert sind, sie suchen Entlastung und möchten Verantwortung auch mal abgeben können. Der Prozess diesen Umstand letzendlich auch zuzugeben, war oft ein langer Weg. Und was ist mit den Frauen, denen " nur die Decke auf den Kopf fällt"; die gibt es auch. "Die Hausfrauen- und Mutterrolle füllt mich nicht mehr aus...." höre ich fast täglich. 

All diese Themen sprechen wir nun in unseren Tagesmutter-Treffen auch offen an.

Und nicht selten kommt es dann zu recht hitzigen Diskussionen. Von Mitleid bis zu völligem Unverständnis reichen dann die Reaktionen der Tagesmütter, und es wird mehr als deutlich, dass die gesellschaftlichen Wertvorstellungen zu "guter Kindererziehung" auch heute noch wenig mit der realen Lebensplanung berufstätiger Frauen übereinstimmen - deutlich mehr stimmen diese Wertvorstellungen mit denen von Tagesmüttern überein. Und so geschieht es eben, dass viele Tagesmütter oder solche, die es werden wollen, diese meist wenig reflektierten Wertvorstellungen in den Kontakt mit der abgebenden Mutter einbringen. Es werden unterschwellig Botschaften weitergegeben wie "das arme Kind" oder "das sind doch Rabenmütter". Besonders heiß wird die Diskussion dann, wenn Mütter es sich finanziell absolut leisten könnten, nicht zu arbeiten. Einer allein Erziehenden oder kranken Mutter gesteht man schon eher das Abgeben ihres Kindes zu. Nur sehr schwer akzeptable Gründe das Kind abzugeben, sind für viele potentielle Tagesmütter, wenn sich eine Mutter "auf Kosten des Kindes" Freizeit gönnt, z.b. 2 Nachmittage pro Woche eine Auszeit nehmen möchte, (nicht selten spielt dann bei näherem Hinsehen auch schonmal die Eifersucht einer Tagesmutter eine gewisse Rolle, die evtl. selbst noch nicht so weit ist, sich dieses normale Bedürfnis mal zuzugestehen), und wenn die Mutter "nur" beruflich erfolgreich sein möchte und "Karriere machen" will. Und natürlich immer wieder dann, wenn "Geld verdienen" im Vordergrund steht, obwohl die Mutter es nicht nötig hätte. 

Es ist also nicht unwichtig,

sich als zukünftige Tagesmutter ganz genau damit auseinanderzusetzen, mit welchen Motiven man ehrlich Probleme hat bzw. wann Konflikte mit der abgebenden Mutter im Grunde vorprogrammiert sind. Eine zukünftige Tagesmutter sollte sich sehr darüber im klaren sein, dass ein solch unterschwelliger Vorwurf für eine abgebende Mutter auf Dauer zu spüren und nicht zu tolerieren ist. Und meiner Meinung nach zeichnet eine "professionelle Tagesmutter" auch gerade der Umstand aus, dass sie ihre eigenen Grenzen der Wertvorstellung auch annimmt und nicht verdrängt. Wichtig ist also, dass man sich als Tagesmutter genau fragt, wie stehe ich zu den Gründen der Mutter, ihr Kind abzugeben. Gibt es Mütter, die ich unumstößlich als "Rabenmütter" ansehe. Welche Gründe kann ich vielleicht bei näherem Hinsehen nachvollziehen und akzeptieren. Überlegen sollte man sich gut, ob man bei massiven Vorbehalten im Verlauf des Verhältnisses nicht der Mutter gegenüber überkritsich werden könnte. Stimmt etwas mit dem Kind nicht, besteht die Gefahr, dass ich die Hintergründe der "Karrieresucht" der Mutter anlaste. Dies führt u. Umständen unmerklich mit der Zeit zu einer gefühlsmäßigen Ablehnung der Mutter, was eine gute Zusammenarbeit fast unmöglich macht. Und vergessen sollte man dann auch nicht: über dieses Problem kann eine Tagesmutter mit der Mutter niemals wirklich offen sprechen. Tagespflege lebt aber von einer gewissen Offenheit auch bei unterschiedlichsten Lebensformen.

  Um sich über diese Grenzen der Tagespflege klar zu werden,

kann es für die Tagesmutter auch hilfreich sein, sich mit den möglichen Gefühlen einer abgebenden Mutter einmal näher zu befassen und sich konkret in deren Lage zu versetzen. Welche Motivation auch immer dahinter steht, arbeiten zu wollen oder zu müssen, jede Mutter kämpft auf die ein oder andere Art mit den Sorgen um ihr Kind. Sie hat Angst ihr Kind in fremde Hände zu geben, sie sorgt sich um das Wohlergehen, sie sorgt sich um Gleichbehandlung und Erziehung in der Tagesfamilie. Sie weiß nicht, wie sie und ihr Kind die Trennung verkraften wird. Sie kämpft auch mit Eifersucht, denn die Tagesmutter erlebt viele Entwicklungsschritte nun zuerst und ist hautnah dabei, wenn es vielleicht die ersten Laufversuche macht. Sie kämpft sehr oft täglich mit der Abwägung, ob das Versäumen wichtiger kleiner Ereignisse den Preis der Arbeit auch wert war. Sie fragt sich, ob das Kind irgendwann zur Tagesmutter Mama sagen wird und ob dies einer Entfremdung gleich kommt. Gefühle von Aggressivität, Konkurrenz und Eifersucht, gegenüber den Tagesmüttern müssen hier genauso bewältigt werden, wie das Gefühl der Überflüssigkeit. Selbstzweifel "bin ich noch eine gute Mutter" begleiten diese Frauen nicht selten im Schlaf. Weil eine Frau die Grätsche zwischen Arbeitswelt und Mutterdasein verbinden möchte, heißt das nicht automatisch, dass sie frei ist von Schuldgefühlen, Trennungsschmerz und Verlustängsten. Gerade in der Anfangszeit der Tagespflege fällt es vielen Mütter schwer, auch mal die positiven Aspekte für das Kind zu betrachten. Das Kind erfährt neue soziale Kontakte, hat Spielkameraden, wenn ihm zu Hause die Geschwister fehlen. Es lernt andere Umgangsformen kennen, fasst Vertrauen im Spiel außer Haus und macht große Schritte in Richtung Selbständigkeit. 

Das Ziel muß sein,

als Tagesmutter innerlich zu einem gewissen Abschluß und Klarheit in der eigenen Grundhaltung zu kommen und auch danach zu handeln. Wenn ich mich also mit der Motivation einer Mutter so gar nicht anfreunden kann, ist es ratsam, das Kind auch nicht in die Familie aufzunehmen, statt permanent heimliche Botschaften des Vorwurfs abzusenden. Eine gute Tagesmutter muß in der Lage sein, ein kollegiales Verhältnis zur abgebenden Mutter aufzubauen, dazu gehört, sich seiner Aufgabe bewußt zu sein, und Werte-Grenzen gezogen zu haben, bevor man sich auf ein Verhältnis einläßt - es ist in diesem Berufsstand sicher untragbar, sich moralisch über eine berufstätige Mutter zu stellen, gleichzeitig aber auch daran gerne zu verdienen. Hierzu ist es nicht notwendig, sich vollständig mit den Gefühlen der Mutter zu solidarisieren, so nach dem Motto: "........also, wenn ich Sie wäre, hätte ich aber auch mächtige Schuldgefühle".....; viel wichtiger ist es bei seinen eigenen Gefühlen als Tagesmutter zu bleiben und diese in dem begonnen Verhältnis nicht verletzt zu sehen. Weder die Tagesmutter noch das Tageskind können Gefühls- und Rollenambivalenzen, die eine abgebende Mutter empfindet, lösen - das ist auch nicht die Aufgabenstellung. Wir können uns zudem sicher alle auch vorstellen, dass auch das Tageskind auf Dauer eine gewisse Belastung erfährt, wenn Mutter und Tagesmutter aus scheinbar völlig verschiedenen "Gefühlslagern" stammen. Diese Konflikte haben ihre Ursache in den Normen, die unsere Gesellschaft aufstellt - und das sind wir alle. Wir müssen im Grunde nur

"unseren Platz" darin finden

und diese Haltung auch nach außen tragen. Oder was meinen Sie?
Es grüßt herzlich
Susanne Rowley

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