Saturday, 10. April 2021
Offener Wigwam Brief an den neuen #Kita #Fachkraftverband #RLP.
Liebe tapfere KämpferInnen für die frühe Kindheit,
Seit Gründung Eures Verbandes bin ich eine stille Mitleserin und bedanke mich, eingeladen worden zu sein. Das hier aufgebrachte Engagement berührt mich zutiefst, daher möchte ich heute einen Beitrag leisten.
Zu meiner Person:
Ich bin Gründerin von Wigwam 1994, stehe der Institutionalisierung der gesamten frühen Kindheit aus Gründen kritisch gegenüber und stehe dafür, in globalisierten Zeiten mit vereinsamten Klein Familien, „Familie“ im weitesten Sinne neu zu definieren. Zeitgleich gebe ich pädagogischen Fachkräften und Kita Aussteigern aus ganz Deutschland eine neue betreuende, wertschätzende Heimat.
Ich schaue auf nunmehr 3 Jahrzehnte K(r)ampf mit familienpolitisch Verantwortlichen zurück, erlaube mir daher diese Zeilen aus Erfahrung und muss konstatieren:
Es hat sich nichts geändert.
Blogbeiträge, die ich vor 28 Jahren verfasste, könnte ich jetzt und hier 1 zu 1 copy and paste genauso wieder veröffentlichen. Das einzige, was wechselt, sind die politischen Köpfe und eine jeweils neue Generation von PädagogInnen, die sich verheizen lässt.
Das System - verkörpert durch familienpolitisch Verantwortliche - ist geprägt von Unwillen, gepaart mit Unfähigkeit Ursache und Wirkung auf diversen Ebenen zusammen zu bringen.
Heißt:
Der Gegner, mit dem Ihr es gerade als neu gegründeter Verband aufnehmt, hat den Ring noch nicht einmal betreten. Im sportlichen Bereich nennt man das Schattenboxen.
Der Grund:
Wo kein Wille ist, ist kein Weg.
Was Ihr wollt und fordert, wissen die familienpolitisch Verantwortlichen nur zu genau. Jetzt gilt es, Euch politisch im Auge – und in Schach zu halten. Ihr werdet tolle Gespräche führen, dabei klare Fragen stellen, schwammige Antworten erhalten, als zahnloser Verbands Tiger in Sitzungen aller Art eingeladen, man wird Euch wohlwollend gerade so viel Gehör schenken, damit Ihr Euch noch beteiligt fühlt, ohne es je zu sein. Die Überzeugungsarbeit, die Ihr leistet, wird in einem jahrelangen zähen Abrutschen an glatten Systemwänden enden, weil Eure Inhalte schlicht nicht gewollt sind. Frei nach dem Motto: Schön, dass wir drüber geredet haben.
Ich halte den Kampf „gegen“ das System,
das nicht gewillt ist, sich einer grundlegenden Veränderung zu stellen, für aussichtslos, denn es müssten 1000e von Stellschrauben neu erfunden werden, um Euch als nur einem Glied am Ende der langen Kette gerecht zu werden. Da geht keiner dran in einer Legislaturperiode.
Horden von namhaften Experten, wie Hüther & Co. sind längst bis ins Bundeskanzleramt vorgedrungen, um dort ihre Vorstellung von einer lebenswerten frühen Kindheit vorzutragen, um von höchster Stelle zu erfahren:
Geht alles nicht. Wollen wir nicht.
Ich sehe keinen Anlass, die bereits ausgetretenen Trampelpfade nochmal zu gehen. Ihr werdet an gleicher Stelle ankommen.
Es gibt nur einen Weg, eine Veränderung in diesem Land herbeizuführen:
Das ist die Druck Umkehr; gepaart mit dem Ansinnen "für" eine gute Sache Eure Betreuungsleistung einsetzen.
Ihr müsst dem System Eure Betreuungsleistung entziehen! Ihr müsst aussteigen! Schon jetzt wird in vielen Bereichen der sozialen Arbeit aus Fachkraftmangel eine Fachkraftflucht. Und erst dann, wenn diese Flucht System relevante Ausmaße angenommen hat, wird sich etwas bewegen, weil es sich erst dann bewegen muss.
Ich schreibe das wirklich nicht gerne, und meine Zeilen sind auch keiner persönlichen Verbitterung oder Wigwam Werbe Aktivität geschuldet, sondern schlicht gelebter Erfahrung.
Was dann?
Fragen sich vielleicht viele, die das jetzt lesen. Dazu sage ich am Ende meiner Zeilen noch etwas.
Ein paar kleine System Zusammenhänge möchte ich hier in – zugegeben flapsiger Kurzform – nur anreißen, weil mein Beitrag sonst eine nicht endende Überlänge erreicht. Meine intensivierten Gedanken können Interessierte meinen zahlreichen Blogbeiträgen auf wigwam.de entnehmen.
Ich beginne bei der frühkindlichen Bildung und dem angeblich damit einhergehen sollenden Kindeswohl.
Würde Kindeswohl eine Rolle spielen,
müsste es den Fachkräften zuerst gut gehen, und Bindung zum Kind wäre der Leitfaktor, weil nur dann Bildung aufsatteln kann.
Beides spielt bei politisch Verantwortlichen überhaupt keine Rolle. Es geht nur um Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das System Kita ist nicht mehr "der Garten für Kinder", den wir einst kannten. Die Kita von heute ist nichts weiter als ein institutionelles, weil kompaktes und gut steuerbares Instrument, um die freie Wirtschaft am Laufen zu halten. Der Bildungsanstrich, der der Institution verliehen wird, ist Makulatur. Jenen, die zu zweit 40 und mehr Kinder betreuen, im Hinterzimmer dokumentieren, was vorne nie stattfinden kann, muss ich das sicher nicht näherbringen.
Es geht um Geld! Und nur um Geld.
Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung lässt keinen System Wechsel zu.
Wir sehen in regelmäßigen Abständen eine Frau Giffey die stolz verkündet, welche Millionen Pakete Richtung Kindeswohl geflossen seien.
By the way
habe ich schon Frau Merkel gelauscht, als diese das Amt der Familienministerin übernahm. Das alte Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit wurde in den 90ern dreigeteilt – in das Bundesministerium für Gesundheit mit Gerda Hasselfeldt, Bundesministerium für Familie und Senioren, Hannelore Rönsch, und unser aktuelles Bundesministerium für Frauen und Jugend wurde Frau Merkel übergeben. Hier wurde der Grundstein dafür gelegt, dass das Ministerium für „Frauen- und Kindergedönse“ als kleines Restministerium verkam – sprich mit wenig Kompetenzen. Mit Auswirkungen bis heute!
Tritt Frau Giffey strahlend auf den Plan,
geht Otto NormalverbraucherIn Öffentlichkeitswirksam davon aus, die tun was. Das Geld kommt weder bei den Fachkräften noch den Kindern an, weil es bei der Verteilung in den Haushalten teils zweckentfremdet wird oder nicht abgerufen werden kann, weil die Langzeitstrukturen an der Basis nicht mitfinanziert werden.
Kernproblem:
Die, die von Vereinbarkeit und dem Wiedereinstieg von Eltern in den Beruf einzig profitieren, sprich die Unternehmen, die Sozialkassen und der Steuer einnehmende Bund sitzen in Wahrheit nicht mit im Boot. Den schwarzen Finanzierungspeter haben alleine die Kommunen. Also jene, die vom Profit der Vereinbarkeit per se abgeschnitten sind.
Dazu empfehle ich das Schriftstück von Prof. Dr. Stefan Sell, der vor über 1 Jahrzehnt vehement predigte, ein Kita Fond der Nutznießer müsse an den Start. Bis heute: Nur Gesehen. Vielleicht noch Gelesen. Auf jeden Fall aber sehenden Auges tatenlos bewusst Abgeheftet.
Bei Interesse googelt:
Neben dem Finanzierungsproblem hat Deutschland leider ein historisch, geschichtlich kulturell bedingtes tiefergehendes Problem, das schon an der Sprache zu erkennen ist.
Die Rabenmutter, die sich auf Kosten des Kindes verwirklichen will, lebt weiter. Und jene Fraktion, die die einzig liebende Mutter bei ihren Kindern zu Hause sieht, hält seit den Nachkriegszeiten (Mutterkreuz & Co.) ideologisch dagegen. Wir sind keineswegs modern, wir ersaufen stattdessen in Elternberatungslektüren, um nie "Das Falsche" für unser Kind zu tun. Die Lagerbildung zwischen Verteufelung der sogenannten „Fremdbetreuung“ und jenen, die eine Bildung schon im Kreissaal starten möchten, lässt keine Grautöne zu.
Dieser Umstand ist mitverantwortlich dafür, dass sich politisch Verantwortliche stets zurücklehnen können, weil die Lager mit sich selbst beschäftigt sind und auf der Höhe von Krisenzeiten (z.B. jetzt) ganz sicher zuerst an die Gurgel gehen.
Dabei gibt es diese versöhnlichen Grautöne sehr wohl, wenn man sich Großfamilien aus Zeiten vor der Globalisierung ansieht. Niemand hätte je vom „Ab- oder Weggeben“ des Kindes in böse „fremde Hände“ gesprochen, wenn ein Kind das Schuhe Binden bei der Großtante in familiären Zusammenhängen lernt. Man sprach seinerzeit von der Erweiterung der Familie und des kindlichen Horizontes. Bereits im Kreissaal wird das Kind „abgenabelt“, und es wäre natürlich Aufgabe seiner Fürsorgenden ihm die Welt auf kindgerechte Weise zu zeigen.
Deutschland hat es geschafft,
das simple Dorf, das es bräuchte, um ein Kind großzuziehen, zu pervertieren und in Massen „Anstalten“ ad Absurdum zu führen. Und Ihr seid die Erfüllungsgehilfen. Sorry!
Wir haben es nicht geschafft,
in einer modernen globalisierten Welt Kind- und Kleinfamilien gerechte Antworten auf moderne Zeiten und neue Herausforderungen zu finden. Und so lange das so ist, werden Fachkräfte und Eltern sich gegenseitig zerfleischen und ihre systemisch bedingte Ohn-Macht auf das direkte Gegenüber projizieren. An dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass der Gegner niemals „Eltern“ heißen kann. Die Zeiten, in denen diese „wieder einsteigen“ wollten sind in weiten Teilen „dem müssen“ gewichen, weil von einem Gehalt kein Leben mehr ist. All diese Zusammenhänge müssen mit bedacht werden, will man ans Große Ganze ran.
Wenn am Satz von Friedrich Fröbel „Erziehung ist Beispiel und Liebe - sonst nichts“
etwas dran sein sollte, frage ich mich grundsätzlich jeden Tag: Wie geht es eigentlich Kita Kleinstkindern mit Fachkräften, denen es ihrerseits durch die Bank körperlich und seelisch schlecht geht. Die gleiche Frage ist auf Elternseite berechtigt. Was lernt ein Kind, dessen Mutter sich die beruflichen Verwirklichungswünsche selbst versagt, weil sie aus gesellschaftlicher Sicht „eine gute Mutter“ sein möchte? Aus meiner Sicht lernt das Kind daraus, dass man sich verbiegen muss, um andere glücklich zu machen. Und wer möchte schon eine Mutter haben, die nach Jahren vor einem steht und sagt: Für Dich hab ich mich aufgegeben.
Der Rechtsanspruch auf Bildung und Förderung
hat die Lage in 2013 massiv verschärft. Einen Anspruch gesetzlich zu verankern, ohne für die Umsetzung im Vorfeld Sorge getragen zu haben, liegt ein entscheidender wiederkehrender Denkfehler zugrunde: Familienpolitik geht grundsätzlich davon aus, „eine Seite – die Betreuende“ zu rekrutieren, um die „andere Seite – Eltern / Unternehmen“ zufrieden zu stellen, bzw. am Klagen zu hindern. Wie unter solchen Bedingungen das Wort „Elternpartnerschaft“ glaubhaft Einzug halten konnte, ist mir ein Rätsel.
Verdient haben am Rechtsanspruch nur Horden von Advokaten.
Zuguter Letzt:
Reden wir über Geld. Anspruch. Und Wirklichkeit.
Unsere westlichen Gesellschaften sind auf Profit ausgerichtet.
Wie wir das finden, ist sicher an anderer Stelle zu bewerten. Wichtig ist jedoch: Wer soziale Arbeit aufwerten will, muss mehr tun, als über „ihren Wert“ zu sprechen oder um seine „Aufwertung zu betteln“. Leider genügt es auch nicht, über die monetären Langzeitfolgen für eine Gesellschaft zu referieren, wenn Kinder ohne Bindung aufwachsen. In Zeiten kurzer Legislaturperioden bis dato nie erfolgreich gewesen.
Wie in so vielen Bereichen des Lebens kann der Anspruch „die Welt aus den Angeln“ heben zu wollen, für den Einzelnen zu groß sein, und das persönlich empfundene Scheitern ist vorprogrammiert. Wem es jedoch genügt, ab und an mahnend den Finger zu heben, und in Zeitungen und sozialen Netzwerken zu lesen, dass man den Finger auch wirklich mit gehoben hat, wer sich damit abfinden kann, dass der TV Sender 100 Sätze in zweien zusammen staucht und sich freut, einmal auf dem Schirm gewesen zu sein, dem sei das als persönlicher Erfolg durchaus gegönnt. Wer jedoch persönlich heute schon leben will, was vielleicht irgendwann einmal Teil einer gesellschaftlichen Veränderung sein könnte, dem würde ich sehr viel Mut zusprechen wollen, seinen eigenen Weg zu gehen, um das Lachen der Kinder nicht zu verlieren.
Vielleicht wäre ein guter Weg bei sich selbst anzufangen. Wer seinen pädagogischen Wert für die Gesellschaft mitteilen will, muss ihn zuallererst für sich selbst anerkennen und auch seinem Allernächsten gönnen.
Stichwort: Fachkraft Neid.
Wie oft sah ich in sozialen Netzwerken ein Schild mit ähnlichen Aufschriften dergestalt: „Warum erhalten Berufsgruppen, die sich um tote Sachen kümmern mehr Geld, als solche, die sich um Menschen bemühen“. Gleichzeitig beobachte ich in vielen Bildungsbereichen jenes Phänomen:
Schickte sich ein Bildungsbereich an, eine bessere Vergütung durchsetzen zu wollen, geht das „Treten nach unten“ los. Möchten Erzieher mehr verdienen, stehen die Lehrer tobend auf dem Plan, weil ihrem Einsatz ein Studium vorausging. Streiten Tagesmütter und -väter für mehr Anerkennung, wird per se unterstellt, sie hätten nicht mehr auf der Bildungspfanne als den Jugendamtskurs. Stimmt zuweilen. Rechtfertigt aber nicht den neidvollen Tritt von Erzieherseite.
Gleiches gilt für die Unart von „Herzblut“ zu sprechen, möchte man Kindern den Weg ins Leben ebnen. Fließt kein Herz-Blut, ist soziale Arbeit nichts wert? Wie passt es zusammen, um eine monetäre Aufwertung zu streiten, und zeitgleich wie eine Monstranz vor sich herzutragen, nichts dafür haben zu wollen, um gesellschaftlich glaubwürdig zu sein? Geschichtlich betrachtet liegt das Problem des "Herzblutes" darin begründet, für Liebe und Fürsorge "Geld" zu bekommen, geht im gefühlten Werteverständnis nicht zusammen. Betrachtet der Einzelne jedoch schlicht betriebswirtschaftlich, welchen "Wert" eine PädagogIn hat, deren Eltern das Bruttosozialprodukt erhöhen, müssen wir nochmal ernsthaft drüber reden. Oder nicht?
All das und noch viel mehr gehören auf den Prüfstand.
Ich erwähne dies, weil all das den Verlust von Kraft und gemeinschaftlicher Energie bedeutet und den eigentlichen Missständen hilft, zu bleiben, was sie immer waren. Die Last dieses Verbandes wird auf einigen Wenigen liegen, die ihre Freizeit unentgeltlich dafür opfern. Andere werden zuschauen und hoffen, dass sich was tut. Tut sich nichts, werden sich die Reihen leeren. Auch das wissen politisch Verantwortliche, sie müssen nur warten und aus-sitzen.
Ich könnte noch viel mehr an dieser Stelle schreiben. Möchte es dabei belassen. Ich werde weiterhin gerne mitlesen, hoffe, dass meine Zeilen den einen oder die andere positiv erreichen konnten.
Ich wünsche allen Engagierten:
Verliert Euch nicht unterwegs im Kampf „gegen“ alle Widerstände. Manchmal kommt der Punkt im Leben, da sollte Frau und Mann etwas „für sich und sein Leben“ tun und stellt dann im Laufe des Prozesses fest, genau so ist auch allen anderen in der Gesellschaft wohlgetan. Sei es durch Vorbild Funktion oder aber dadurch, dass ein kleiner Bereich in unserer Welt ein authentischerer und lebenswerterer geworden ist.
Seid selbst Teil der Veränderung, die Ihr Euch für diese Gesellschaft wünscht. Ihr müsst nicht warten, bis Euch das System die Erlaubnis dazu erteilt!
Bei mir begann der Wandel früh und dergestalt:
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Es gibt für jeder/mann/frau einen persönlich möglichen Wirkungsbereich. Und möchten wir unseren Allerkleinsten nahebringen, dass auch sie einst selbstwirksam sein können, sollten wir ihnen das Vorleben. Und zwar jetzt. Der Bereich mag kleiner sein, als das System verändern zu wollen. Aber genau das verstehe ich im Kern unter „Arbeit an der Basis“.
Ich erkannte weiterhin:
Von der Wiege bis zur Bahre, haben wir das Leben der Institution übergeben. Jung und Alt, die zum Bruttosozialprodukt noch nicht / oder nicht mehr beitragen, werden massenhaft „untergebracht“. Institutionen der Daseinsvorsorge werden privatisiert und der Gewinnerzielung an-HEIM gestellt. Ich warte auf die erste Kita Gesellschaft, die an die Börse geht.
Kommt Zeit, kommt Kita AG..
Ich zähle auf Euch, dass Ihr spätestens dann von diesem Zug abgesprungen seid.
In diesem Sinne. Bleibt gesund.
Eure
Susanne Rowley