Tuesday, 17. June 2014

Autor: Susanne Rowley

Kindertagespflege - Betreuungsarmee auf Zeit

Ein lesenswerter Gastbeitrag. 

Liebe Wigwam-Freunde,

und wieder erreichte mich ein "GASTBEITRAG", den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.

Ein Beitrag von Beate Büse, 20 Jahre Tagesmutter aus Haan-Gruiten

plapperfroesche.jimdo.com

Sie schreibt mir - Zitat:

>> Betreuungsarmee auf Zeit? Ausgenutzt, ausgespielt, aufgerieben, abgeschrieben?

Ich sage, das Tagesmutter-Märchen ist noch nicht ausgeträumt.

Vor über zwanzig Jahren habe ich begonnen, als Tagesmutter zu arbeiten. Ich tat es aus der inneren Überzeugung heraus, aus Liebe zu Kindern, aus Spaß an der Betreuungsarbeit. Ich konnte die Erziehung meiner Kinder mit meinem Job verbinden, konnte anderen Familien bei der Bewältigung ihrer Betreuungsprobleme helfen und war rundum zufrieden.

Es war anfangs nicht leicht, vier Kleinkinder zu betreuen, von denen zwei meine eigenen waren, aber ich wuchs mit meinen Aufgaben. Und meine eigenen Kinder wuchsen auch. Also veränderte sich mit der Zeit mein Betreuungsalltag. Meine eigenen Kinder wurden immer selbständiger und unabhängiger und waren irgendwann erwachsen.Die Tageskinder aber blieben klein und wunderbar. Es war immer wieder aufs Neue eine spannende Herausforderung, sie aufzunehmen, eine Bindung entstehen zu lassen, ihre Entwicklung zu beobachten, zu begleiten und vor allen Dingen meinen mittlerweile reichhaltigen Erfahrungsschatz einzubringen. Der Abschied von jedem Tageskind fiel mir sehr schwer, aber es war auch unglaublich befriedigend zu sehen, wie sich aus einem Baby ein großartiges Dreijähriges entwickelte, und ich einen Anteil daran hatte.

Meine Aufgabe war die Wegbegleitung für einen wichtigen Abschnitt dieses kleinen Lebens und mit Freude begrüßte ich jedes Mal die neuen Tageskinder. Dann geschah ein massiver Wandel.

Der Rechtsanspruch kam.

Ein Ruck ging durch die Betreuungslandschaft!

Eine Art von KITA-Hype entstand. Die Tagesmütter wurden „entdeckt“, um Sozialabgaben zu leisten und die Kassen zu füllen. Eine Qualifizierungsmaßnahme wurde ins Leben gerufen und auf einmal musste ich wieder die Schulbank drücken. Irgendwie geschah alles gleichzeitig und ich wurde davon überrollt. Also hieß es arbeiten, Familie ernähren und Zertifikat erlangen. Zeitgleich zum Betreuungsalltag versteht sich.

Wie man das leistet?

Das interessierte niemanden.

Im Gegenteil.

Meine Kommune verfügte nun, dass 5 U3 Kinder in zeitgleicher Betreuung nicht angemessen seien. Es sollten künftig nur noch drei U 3 Kinder sein und die anderen sollten vom Alter her Ü 3 sein. Dass dies völlig an der Realität vorbei ging, und auch gegen den Willen von Eltern war, interessierte niemanden. Dass mit dieser Auflage sogar das Aus der Betreuungsstelle selbst riskiert wurde, war ebenfalls kein Thema. Was es für mich bedeuten würde, nach 16 Jahren liebevoller Betreuung in der Kindertagespflege vor dem Aus zu stehen, berührte keinen.

Man stellte mich vor die Wahl:

Entweder öffnete ich in meinem Privathaus eine Großtagespflege und ließ eine Kollegin ihre eigenen Tageskinder bei mir betreuen, oder ich musste mich mit drei U 3 Kindern zufrieden geben, ohne davon meinen finanziellen Erhalt sichern zu können.

Nein, ich wusste nicht,

dass die neue Richtlinie der Kommune im Grunde gegen geltendes Bundesrecht verstieß. Überhaupt wusste ich so vieles nicht. Ich hatte 16 Jahre lang gut mit dem Jugendamt zusammen gearbeitet und ging blind davon aus, juristisch einwandfreie Informationen zu erhalten. Es kam wie es kommen musste. Die Aktion Großtagespflege überstieg nicht nur bei weitem meine finanziellen Mittel und kostete mich fast meine Existenz, es entsprach mir einfach nicht – nicht mir und nicht meiner Vorstellung von einer familiennahen und bindungsorientierten Betreuung.

Hinzu kam eine weitere erschreckende Erkenntnis.

Die Wertschätzung, die mir bis dato zuteil geworden war, verschwand. Die Kindertagespflege wurde angefragt, als Betreuungslücken-Füller, als Notnagel der Kommunen, die uns längst abgeschrieben hatten, uns aber aus der Ecke hervor holten, wenn der Rechtsanspruch durch Eltern eingeklagt zu werden drohte. Wir waren gut genug, um ausreichende Zeitfenster zu schaffen, bis der Kita-Ausbau gelungen sein sollte. Wir waren gut genug, um zu außergewöhnlichen Randzeiten Hilfestellung zu leisten, wir waren gut genug immer nur dann, wenn ohne uns nichts ging. Die Kommunen gingen auf Nummer sicher. Massiv wurden Tageseltern angeworben und ausgebildet. Massiv wurde zeitgleich der KITAausbau vorangetrieben. Eine Armee von Betreuungssoldaten auf Zeit.

Ich fragte mich plötzlich: Wer sind wir eigentlich?

Ausgenutzt, ausgespielt, aufgerieben, abgeschrieben.

Drei Jahre lang kämpfte ich, zuerst alleine, dann mit immer mehr Kollegen aus meiner Kommune und am Ende gemeinsam mit vielen Kollegen aus NRW. Bessere Rahmenbedingungen, mehr Wertschätzung, ein Mitspracherecht und vor allem eine gute Vernetzung, um zu verhindern, dass jemals wieder eine Tagespflegeperson etwas Vergleichbares erleben muss, wie ich.

Ich hörte von vielen anderen Fällen, die meinem so erschreckend ähnelten. Ich begegnete großartigen, unglaublich motivierten jungen Tageseltern und musste mit ansehen, wie sie immer mehr den Mut und die Freude an ihrer Aufgabe verloren, weil sie dem Unternehmerdasein der Großgruppe nicht gewachsen waren, oder untergingen in den kommunalen Vorgaben und Richtlinien. Neue und alt gediente Tageseltern laufen weiterhin blindlings in eine großräumig ausgelegte Wahl-Falle, in die nicht zu treten bedeuten würde, ihre Lebensaufgabe möglicherweise aufgeben zu müssen.

Die Grundidee der Kindertagespflege; die letzte noch existierende Bastion der Großfamilie, in der Eltern und Tagespflegeeltern einander partnerschaftlich stützen, helfen und füreinander da sind, ist massiv gefährdet. Der letzte natürliche Hort für Kleinkinder, geprägt vom Wohlbehütet sein, zerbricht „von Amtswegen“.

Ich gehöre inzwischen zum "alten Eisen", hatte zwanzig Jahre lang Zeit, als Tagesmutter Erfahrungen zu sammeln und vielleicht bin ich deshalb so "mutig" oder auch töricht zu sagen, dass ich nicht mit KITAs konkurrieren möchte. Ich möchte deren Konzepte nicht übernehmen, möchte mich nicht in den Bildungsdruck und Pisa-Wahnsinn pressen lassen, möchte die Betreuung so bindungsgerecht, flexibel und familiennah anbieten, wie es mir nur möglich ist und will AUF KEINEN FALL eine institutionelle Betreuung sein.

Ich nenne es Betreuungs- und Bildungswahnsinn, der aus dem Ruder läuft. Ich sehe kaum noch einen rechtlichen oder politischen Weg, die begangenen Fehler wieder zu beheben. Ich fürchte um neue motivierte Kindertagespflegepersonen und um die „alten Hasen“, deren wertvolle Erfahrung für immer verloren gehen wird. Ich fürchte um die Kleinstkinder, die all das brauchen, was wir zunehmend verloren geben. Wer übernimmt die Verantwortung hierfür? Von städtischer Seite niemand, es sei denn, es gelingt, die kommunalen Politiker für diesen Kampf zu gewinnen. Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz in Bezug auf die Betreuungsarbeit der Kindertagespflege sind unsere einzige Chance, etwas zu bewegen.

Mit dem heutigen Beitrag zeige ich Ihnen,

dass ich bereit bin, die Verantwortung zumindest in diesem Bereich zu übernehmen.

Aufgeben?

Nein, denn ich liebe meine Arbeit und gestalte sie aus tiefster Überzeugung als Tagesmutter für meine kleinen Schützlinge. Aber ich bin zornig, begehre auf, will nicht länger schweigen. Ich bin zornig über soviel Arroganz, Ignoranz, Mangel an Wertschätzung und tieferem Verständnis für die Bedürfnisse unserer noch kleinen, zukünftigen Generation.

Wir, die Tagespflegepersonen, werden gebraucht und wir werden uns nicht verdrängen lassen aus einem Raum, der wie für uns und die Kinder gemacht ist! Es gibt viel zu tun und die größte Herausforderung wird allemal sein, die vielen eingeschüchterten Kollegen und Kolleginnen dazu zu bewegen, aufzustehen! Aufzustehen für einen Berufsstand, den sie lieben, der gut ist für Kinder und für Familien ist und der eine überaus wichtige Funktion in unserer Gesellschaft erfüllt. Sie sollen kämpfen für die gute Sache und dabei keinesfalls sich selbst und ihr Anliegen verlieren.

Wie weit bin ich selbst noch bereit,

den gesetzlichen Anforderungen nachzugeben, die meinem Berufsbild nicht entsprechen? Für mich selbst konnte ich diese Frage noch nicht beantworten.... aber ich werde um den Erhalt der Kindertagespflege kämpfen, denn ich bin nach wie vor überzeugt, dass diese Betreuungsform gerade für unsere Kleinsten nicht nur viel zu bieten hat, sondern unerlässlich ist. Also rufe ich allen politisch Verantwortlichen zu, die es an Verantwortung missen lassen:

Rechnet mit uns – jetzt erst Recht!

mit kollegialen Grüßen Beate Büse <<

Beitrag Ende / Ich bedanke mich bei Beate Büse.

Susanne Rowley

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