Sunday, 6. April 2014
Kinderkriegen hängt nicht allein von materiellen Faktoren ab
Wenn Du wollen würdest – es nicht können gelernt hast - und das noch nicht mal sagen darfst.
www1.wdr.de/fernsehen/information/frautv/sendungen/Erziehung102.html
Liebe Wigwam-Freunde,
>> Kinderkriegen hängt nicht nur von materiellen Faktoren ab, dann würden ja ganze Kulturen untergehen, sondern das hat auch damit zu tun, wie man seine eigene Kindheit empfunden hat und welches Bild vom Kind an sich und vom Elternsein man vermittelt bekommen hat. <<
Die gewählte Überschrift
ist mir spontan beim Betrachten der wenigen Minuten Reportage zum Thema sofort eingefallen. In diesem sehenswerten und sehr berührenden Bericht geht es um die Erziehungsratgeber von Johanne Haarer, die in Deutschland von den 30iger Jahren an bis weit in die 80iger Jahre hinein verkauft worden sind.
„Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“.
Das Kind, ein frühkindlicher Tyrann, den es zu bändigen gilt, dessen undeutsches Weinen uns nicht zu berühren hatte, war die Prämisse dieses Ratgebers. Millionen von Eltern haben sich dieses Gedankengut zueigen gemacht, weil sie es erfahren mussten, verkörperten und somit bis ins Heute weiter transportieren.
Schnee von gestern?
Nein, das denke ich eben gerade nicht. Denn Beschreibungen dieser Ratgeber finden wir auch heute noch in Maßgaben wieder, die unsere Kinder dazu anhalten sollen, wahre "Meisterstücke" zu vollbringen. >> So schreibt Johanna Haarer, wie mit einem unruhigen, weinerlichen Kind zu verfahren sei:
"Dann, liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen. Das Kind begreift unheimlich rasch – und der kleine, aber unerbittliche Haustyrann ist fertig."<<
Kinder, so der Tenor,
müssten von Geburt an lernen, alleine zu sein. Nun gut, möchten Sie vielleicht sagen, wir wissen ja heutzutage, dass dies falsch ist und machen es von daher einfach besser? So einfach ist das aber nicht. Denn das, was Millionen von Frauen / Eltern selbst in die Wiege gelegt wurde, was sie selbst an Geist, Körper und Seele erfahren haben, geben sie weiter – bewusst oder auch unbewusst.
Ganze Familiensysteme bauen auf dieser ungeheuerlichen Kälte auf; und das Schlimmste daran ist, dass das System selbst es verbietet, darüber zu sprechen. Aber nur das Erkennen, Anerkennen und laute Aussprechen, dass es war wie es war, und dass Unzulänglichkeiten und Schwäche, die daraus resultieren, öffentlichen Platz brauchen, nicht unter deutsche Teppiche gehören, würde einer Folgegeneration die Möglichkeit bieten, wirklich auszubrechen, einen Schnitt zu vollziehen und einen neuen, besseren Weg zu beschreiten. Wie sieht ein solches Weitertragen im Alltag aus?
Eltern, die erkennen, dass sie mit dieser Bürde aufgewachsen sind, ringen ein Leben lang mit sich selbst und ihrer Erziehung, die sie weitergeben. Verzweifelt schauen sie in ihr eigenes Erlebniskästchen, und entdecken: Nichts. Da ist nichts, was sie wappnen würde, mit den unterschiedlichsten Erziehungsetappen umzugehen. Da ist keine Selbstsicherheit und kein klares Selbstbewusstsein, seinem Kind eigene Werte zu vermitteln. Der Erziehungsalltag wird statt dessen sehr oft zur Versuchsanstalt, in der heute dies gilt und morgen das. Permanent spürend, dass ein eigener Mangel vorhanden ist, den man seinem Kind unter keinen Umständen offenbaren möchte, wurschteln sie sich durch und lesen nach, wie man's so macht. Sie werden zu Künstlern des Alltags. Wobei das Wort „Künstler“ hier ganz wörtlich zu nehmen ist. Sie verhalten sich künstlich, mit ratgebendem Stoff angefüllt, nicht authentisch und geben damit gut gemeint vor, was in Wahrheit gar nicht ist. Und da unsere Allerkleinsten wahre Seismographen sind, kommt genau dieses Gehabe bei ihnen an.
Nicht das gelesene und dann gesprochene Wort,
nicht die vorgezeigte Handlung bleibt hängen, sondern das unaufgearbeitete unsichere Verhalten ist es, was sie aufsaugen, wie ein Schwamm.
Sie spüren, hier stimmt was nicht,
können es aber nicht greifen, nicht anfassen, nicht definieren. Sie laufen gegen Wände von Schein, verstehen nicht, welche Botschaften die wahren sind und suchen schlussendlich den Fehler bei sich. Auch sie trauen irgendwann ihrer Intuition nicht mehr, weil das Erziehungsmuster der Eltern geprägt war von einem verzweifelten Versuch, es irgendwie besser zu machen, der aber nicht gelingen kann, weil er nicht von Wahrheit sondern von falscher Schuld getrieben ist.
Was hat nun dieses Thema mit Vereinbarung von Beruf und Familie zu tun?
Warum muss dieses Thema auch beim Scheitern von Familienpolitik ins Visier genommen werden? Weil alles, was wir uns als Gesellschaft vornehmen, in Regeln für die Gemeinschaft zusammenfassen, auch in der kleinsten Zelle – der Familie - gelebt werden muss, damit es funktionieren kann. Die Gesellschaft, das sind wir – Du und ich! Die innere Haltung, der innere Abgleich mit der eigenen Kindheit ist immens entscheidend, ob ich umsetzen kann, was ich gerne umsetzen möchte. Und darum wählte ich diese Überschrift: Wenn ich will – aber nicht kann - und schon gar nicht offen damit umgehen darf.
Ich glaube, es ist mehr als eine ganze Generation dieser deutschen Gesellschaft verloren gegangen, weil nicht thematisiert werden darf, was diese Art von Erziehung wirklich mit den Menschen gemacht hat. Es lebt weiter das Gedankengut von Gut und Böse, von Stark und Schwach, von Erlaubnis und Verboten, von Meistern und Losern. Und weil sie nicht offen ist die Gesellschaft, offen für Tabus, für erlebte Traumata, die hinter jeder dritten Haustür zu Hause sind und weiter schmoren, bewegt sie sich nicht wirklich weiter. Sie tut nur so, und wenn, möchte sie ungern dabei erwischt werden. Noch immer wählt die Gesellschaft lieber den Deckmantel des Schweigens, obwohl diese Wahl immerfort zu den gleichen Ergebnissen führt.
Die nächste Generation bekommt wieder zu spüren,
dass etwas scheint, was nicht ist und nicht sein darf. Dies spiegelt sich tagein tagaus in den Lagerkämpfen zwischen „guten Hausfrauen und schlechten Rabenmüttern“, oder „faulen Hausfrauen und erfolgreichen Aufsteigerinnen“ wider, die immer herüber äugen müssen, was die andere so treibt; die immerzu zweierlei müssen: einerseits sich durchsetzen gegen die Vorwürfe des vermeintlichen Gegners vom anderen Ufer, dem sie überstülpen, woran sie selbst nicht recht glauben, und andererseits ständig den Abgleich im Blick, was gesellschaftlich gerade en vogue ist und was nicht.
Und über all‘ dem schwebt die wissenschaftliche Studienlandschaft,
die uns regelmäßig präsentiert, was der Spiegel der Zeit an messbaren Ergebnissen so hergibt. Doch wenn ich nur die Symptome wieder erkenne, aber die Krankheit nicht sehen will, entsteht es auch in der Familienpolitik, das Sammelsurium von unsicheren Leistungen und Maßnahmen, die alle nicht wirklich greifen wollen, und maximal dazu geeignet sind, mal hier mal da ein bisschen zu Ruckeln am eisernen Korsett.
Schon immer war ich davon überzeugt,
dass die Betrachtung der kleinsten Zelle unserer Gesellschaft und der Umgang mit ihr - der Familie - der eigentlich wertvollste Auskunftsgeber dafür ist, wo Familienpolitik hinschauen muss. Aber sie schaut nicht hin, sondern steckt ebenso im Versuchslabor, weil sie nicht wissen will, wo sie herkommt, und daher nicht sehen kann, wo sie hingeht. Hilflos überschüttet sie uns mit Re-aktionen, statt aktiv zu ermitteln, was sie unterwegs verloren hat. Das Kind. Sie hört nicht auf Experten, die laut den Versuch unternehmen, Bezug zu nehmen auf Wurzeln, aus denen die Frucht hervor geht.
In meinem Artikel „6 setzen“, habe auch ich einmal den vorsichtigen Blick in die Geschichte der deutschen Mutter gewagt.
Und sicher, es tut weh – aber ein ehrlicher Blick zurück wäre so heilsam und würde uns die Erlaubnis geben, die Augenbinde von morgen endlich abzunehmen. Denn die Geschichte der Erziehung lehrt uns, wir waren schon immer Gegner – selten Verbündete.
Die Historikerin Miriam Gebhardt hat aus meiner Sicht den richtigen Blick dafür, das Wesen dieses unheilvollen Langzeitmusters aufzudecken: Schon Eltern und Kinder waren Gegner – es galt, sich vor ihnen und ihrer Tyrannei von Bedürftigkeit zu schützen. Abhärtung, um das Leben einst „meistern“ zu können, war der rote Faden, der sich durch die gesamte Erziehung zog. Leben darf nicht individuell nach persönlichen Möglichkeiten erfühlt und entfaltet, sondern muss unter allen Umständen ge"meistert" werden. Und wo Meister zugange sind, ist für Schwächliche kein Platz. Und wer möchte jetzt hier behaupten, dass wir in diesem erfolgreichen Deutschland nicht alles Schwache längst zurück gelassen haben?
Ich könnte nun endlos Beispiele aufzählen,
in denen diese Grundhaltung täglich zu sehen ist. Schmerzen werden verborgen – lieber zeigt man nach außen stolzes Rückgrat – die Säule des Auf-rechten Ganges. Trauer wird herunter geschluckt und allseits weiter funktioniert. Depression und alles seelisch Erkrankte ist peinlich und gilt es zu verbergen - ein gebrochenes Bein, wird offen vorgezeigt. Perfekt und Schön sein ist die Devise, und so glotzen wir täglich unsere eigene Fassade an, die unter keinen Umständen bröckeln darf, in der aber logischerweise nicht nur kein Platz ist für den Anderen, der auch nicht funktioniert, sondern auch kein Platz für uns selbst. Eigentor. Miriam Gebhardt hat sich Tagebücher von Eltern aus dieser Zeit angesehen.
Da steht zu lesen: >> Von 16 Uhr ab, als ich mich auf die Bank setzte, schriest du. Ich hätte nur aufstehen brauchen und weiter verfahren, und du wärst ruhig gewesen, das wusste ich. Ich tat es nicht, sondern ließ dich schreien. Der Erfolg: nach einer halben Stunde hörtest du auf, stecktest den Daumen in den Mund und blicktest munter umher. <<
Es ist das Protokoll einer Machtprobe
zwischen Mutter und Kind. Macht und Kampf begleiten uns täglich, Gewinner und Verlierer stehen sich gegenüber. Und jeder steht für sich allein – allein mit dem, was er an Erziehung in sich trägt, aber nicht nach außen geben möchte, weil er weiß, oder glaubt zu wissen, dass die Resonanz erneut Ablehnung statt Annahme sein würde. Und von daher hat Miriam Gebhard völlig recht, wenn sie meint, dass sie immer noch weiter wirkt diese ewig lange Erziehungsgeschichte, die nicht wissen will, wo sie herkommt und von daher auch nicht wissen kann, wo sie hin soll. Und sie resümiert: >>
Ich glaube auch,
damit erklären zu können, warum die Deutschen so wenige Kinder bekommen: Kinderkriegen hängt nicht nur von materiellen Faktoren ab, dann würden ja ganze Kulturen untergehen, sondern das hat auch damit zu tun, wie man seine eigene Kindheit empfunden hat und welches Bild vom Kind an sich und vom Elternsein man vermittelt bekommen hat. << Und wie ist es denn, das deutsche Bild vom deutschen Kind? Wie zeigt es sich denn beim Bau von Kitas in Wohngebieten? Was sehen wir denn bei der Aufarbeitung von Kindesmissbrauch in den Institutionen? Wo stehen wir denn mit der Umsetzung der Kinderrechtskonvention?
Wie groß ist die Empörung wirklich, wenn wir von der quantitativen Umsetzung des Rechtsanspruches täglich lesen? Da sehen wir sie doch die Fratze der Gleichgültigkeit, die gerne Selbstverpflichtung und Gesetze hochhält, und schon kurz danach alle ehrliche Anstrengung fahren lässt. Wir faseln bei der kindgerechten Vereinbarkeit von Beruf und Familie wieder laut und sehr viel über Bindungsbedürfnisse unserer Allerkleinsten und erleben, dass unser eigener unausgesprochener Mangel wider besseren Wissens erneut unter gegangen ist im Bestreben den Rechtsanspruch „meisterhaft“ durchzusetzen - um von allen Schaden abzuwenden – außer vom Kind. Und so schließt er sich der Kreis von altem und neuem Mangel – von ungelebten Bedürfnissen, die die Generationen zuvor nicht artikulieren durften und sie folglich auch der nachfolgenden nicht zugestehen wird.
Das „Meisterstück“ wird nicht gelingen,
denn der Mantel der Zeit wird nicht einfach darüber gehen. Die neue Generation der Gegner ist schon da, die die jeweils Andere dafür verantwortlich macht, dass aus ihrem Kind von heute „nichts“ werden kann, wenn es ohne fachliche Anleitung nur zu Hause herum dümpelt. Und auch die andere ist schon auf dem Plan, die ihre Kinder viel zu früh in "fremde" Hände gibt, um sich egoistisch selbst was zu gönnen. Die Schuldige wird so nicht zu finden sein - nicht da, wo wir derzeit noch immer suchen.
An dieser Stelle schließe ich,
denn das Thema und das daraus resultierende Dilemma habe ich bereits ausreichend behandelt. Ich spürte ihn jedenfalls sehr deutlich, diesen tiefen Verriss und habe den Ausweg gesucht und gefunden – darüber offen sprechen und schreiben.
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Ich wünsche allen Eltern von heute und morgen, dass sie es mal wagen, ihn ehrlich zu gehen, den eigenen Weg, im klaren ausgesprochenen Bewusstsein, was im Gepäck nun mal drin war, und wo sie heutzutage damit hin wollen - und nicht, wo sie damit vermeintlich hin sollten.
Einen schönen Gruß von
Eure Susanne Rowley