Wednesday, 25. October 2017

Autor: Susanne Rowley

Familienpolitik von heute ist für morgen. Dann müsste die von gestern längst angekommen sein?

>> Angela Merkel ist wie eine Zigarette. Du weißt, sie tut Dir nicht gut, 

aber sie beruhigt Dich irgendwie. <<

Dieser Satz, gehört vor einiger Zeit in einer Kabarett Sitzung, beschreibt auf treffliche Weise wie sich Politik in Deutschland vor und nach dem Wahlkampf für mich anfühlt.

Aber ich würde den Satz gerne noch ergänzen. Sie beruhigt nicht nur, sie lenkt auch ab & um von der Realität, in der Familien wirklich leben. Viele fühlen deutlich, es geht etwas kaputt in diesem Land. Etwas, was nicht so einfach wiederherzustellen ist, und sehr wahrscheinlich einer späteren Reparaturwerkstatt unterzogen werden muss, wenn es erst mal am Boden liegt. 

Es geht um Werte des Familienlebens.

Sie müssen Dinge und Umstände zum Glücklich- und Wohlsein von Familie und Gesellschaft nicht verbieten, um sie verschwinden zu lassen; es reicht, ihnen den Nährboden zu entziehen, und die Verantwortung auf den Einzelnen zurück zu werfen. Es ist, als ob diverse klimatische Zonen aufeinanderprallen, deren Luftgemische nebeneinander herschweben, sich nicht verbinden und nur deswegen die Explosion in der Bevölkerung ausbleibt. Lautes, umtriebiges Schaffen in der Politik suggeriert uns, da geht doch was.

Begleitend lesen wir ganz wunderbare Arbeitslosenzahlen, wir hören von der schwarzen Null, und vom vollen Steuersäckel; die Wirtschaft brummt. Die Deutschen kaufen ein, was die Tüte hält. Man könnte meinen, wer von diesem Zug abgehängt wurde, ist irgendwie selbst schuld.

Passend hierzu fand ich vor Monaten bereits im Netz diesen kleinen Videofilm des amerikanischen Regisseurs Dean Peterson.

https://www.youtube.com/watch?v=ap-22FjgoE4

Er filmte Menschen in der U-Bahn-Station 36ste Straße in Brooklyn, New York, die alle die gleiche Treppe hinaufsteigen. Die Treppe birgt eine Besonderheit, denn eine Stufe ist um wenige Zentimeter höher als die anderen. Schaut man auf alle Personen, die sie hinaufsteigen, sieht man, es gibt niemanden, der an dieser Stelle nicht stolpert. Würde man nur einen Einzigen an jener Stelle stolpern sehen, könnte man meinen, dieser hätte sich einfach nur dämlich angestellt. Ebenso wie jeder für sich allein Stolpernde von sich denken würde, er sei einfach unvorsichtig hinaufgegangen.

Überall rieselt es in die Deutschen Köpfe: Unserem Land geht es doch gut, jeder ist seines Glückes Schmied, jeder kann frei wählen, wie und wo er leben möchte. Jetzt wird’s endlich nur ein bisschen bunter durch „Jamaika“.

Das Land hat viel zu Wege gebracht – Maßstab für alle Bedürfnisse dieser Gesellschaft ist und bleibt aber einzig die Wirtschaft. Ihr – und nur ihr hat sich alles und Jeder unterzuordnen. Solange die brummt, kann’s nicht so falsch gewesen sein.

Klammheimlich – auf diversen Nebengleisen – schleicht sich jedoch eine andere Sache tief in unser Bewusstsein ein. Aufgrund fehlender Werte, fehlender zwischenmenschlicher Komponenten, schaffen wir eine riesige Reparaturwerkstatt, die sich derer annehmen muss, die der Wirtschaftszug nicht mitgenommen oder denen er massiv an Leib und Seele geschadet hat. Passend dazu bemerkt man, dass die Haltung innergesellschaftlich von „selber schuld“ wieder zunimmt.

Kinder zu bekommen, betreuen zu lassen, oder eben auch nicht, sei Privatsache. Man habe doch jetzt den Rechtsanspruch, also könne man auch klagen. Wer aufgrund dieser Aussichten keine Kinder bekommen möchte, bei dem ist was schief gelaufen. Entweder hat man in Wahrheit zu lange nach Mr. Right gesucht, dem schnöden Mammon den Vorrang eingeräumt, hat den ewigen Studenten gemimt, oder war einfach zu geizig, sich eine entsprechende Wohnung und alles andere zu leisten, aber das neueste Smartphone müsse es ja immer sein. Immer leiser wird die Gegenwehr dergestalt, dass der Job einen Familienverdienst nicht abwirft, oder aber der Dschungel an familienpolitischen Rahmenbedingungen keinen Anreiz darstellt.

Politik hat keine Vision vom großen Ganzen.

Sie doktert an allem herum, was gerade aufflammt. Mehr ist es nicht. Und der Einzelne verirrt sich in der Summe aller sich aufhäufenden Wege, die zum Gelingen gegangen werden müssen.

Sie müssen Dinge und Umstände zum Glücklich- und Wohlsein der Gesellschaft nicht verbieten, um sie verschwinden zu lassen; es reicht, ihnen den Nährboden zu entziehen, und die Verantwortung auf den Einzelnen zurück zu werfen.

Ich denke dabei an den Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter 3-Jährige, der mit riesen Schritten vorangetrieben wurde und dessen Erfolgszahlen Kritiker verstummen lassen. Sie können Ihr Kind betreuen lassen - nur wie. Ich denke dabei an die freiberuflichen Hebammen, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, und für deren pragmatischen Gebär-Ersatz in Kliniken längst gesorgt wurde. Sie können ein Kind gebären, aber wo. Ich denke an das neue Gesicht von Armut, worunter wir uns längst nicht mehr nur den „Penner um die Ecke“ vorstellen müssen, sondern den klassischen Arbeitnehmer, der seine Familie nicht ernähren kann, obwohl er im Dunkeln aus dem Haus geht, und im Dunkeln zurückkehrt. Wer ist denn heute noch arbeitslos. Ob Sie auskömmlich verdienen, steht woanders geschrieben.

Die vielgepriesene Eigenverantwortung, deren Botschaft in Form von Selb-Ständigkeit ich jederzeit war und bin, wird in diesem Land ständig ad absurdum geführt. Über alle parteipolitischen Grenzen hinweg schwingt sie allmächtig in gesellschaftspolitischen Verlautbarungen mit und suggeriert uns:

Ihr könnt doch, wenn Ihr wollt!

Nein können wir nicht,

wenn wir eine freie Hebamme suchen, sie aber nicht finden können, weil die Rahmenbedingungen sie erstickt haben. Nein können wir nicht, wenn Wohnraum für Eltern & 3 Kinder unbezahlbar geworden ist, und sie zeitgleich nicht wissen, ob sie ihren befristeten Job nächstes Jahr noch haben. Nein können wir nicht, wenn der Preis eines Wiedereinstieges in den Beruf auch heißen kann, dass ich mein Kind einer qualitativ grottenschlechten Massenbetreuung überlassen muss. Und nein kann ich nicht, wenn ich zur Erlangung des Wunschbetreuungsplatzes erst lange Klagewege beschreiten muss, weil Politik nicht in der Lage ist, Gesetze so zu formulieren, dass der Ermessensspielraum nicht in deutschen Gerichtshallen über viele Instanzen hinweg erst geklärt werden muss.

Auf den ersten Blick sind wir frei. Freier denn je.

Wer einen 2. tieferen Blick riskiert, muss merken, dass es eine Sozialpolitik in diesem Lande nicht mehr gibt. Eine Politik, die sich ausrichtet am schwächsten Glied in der gesellschaftlichen Kette.

Dem Kind.

Und das in einem der reichsten Länder der Erde, in dem die Fahne der Familienfreundlichkeit über allen Häusern weht, und ein Klima von vordergründ(l)icher Freundlichkeit erzeugt, weil endlich mehr Kinder geboren werden, und im Gegenzug in der anderen Klimazone ein eisiger Gegenwind von massivem Realitätsverslust genau an selber Stelle bläst!

Ich fass es übrigens derzeit nicht: Es bedarf aktuell eines Hashtags #meetoo, damit sich Frauen aller coulheur zu sexualisierten Übergriffen bekennen. Wir haben seit Jahren einen Missbrauchsbeauftragten, der händeringend um ein Minimum an Anerkennung des flächendeckenden Kindesmissbrauchs in unserer Gesellschaft kämpft.

Menschen in diesem Land behalten sichtbar "ihr gutes Recht" auf dies und das, dumm nur, dass es schwer zu finden und nur mit dickem Geldbeutel und starkem Nervenkostüm umzusetzen ist.

Lässt man diese Zusammenhänge auf sich wirken, spürt man, mit dem zur Schau tragen von Freiheit, die in Wahrheit kaum mehr real gelebt werden kann, ohne auf dem Zahnfleisch zu wandern, gehen wichtige Werte klammheimlich den Bach runter. Eine Geburt ist kein umwälzendes Ereignis mehr, bei dem jedes Paar frei entscheiden kann, wie sie sie erleben möchte. Nein Geburt ist ein versicherungstechnischer Risikofall. Hausgeburt? Kein Problem, Sie können sich so entscheiden – aber das ist dann ihr Privatvergnügen. Sicherheit bietet die 2. Klimazone, sollten Sie sich falsch entschieden haben. Ihr Kind ist tot? Und das in der heutigen Zeit? In einer Zeit, in der die Geburt im Krankenhaus nicht nur 1. Wahl sondern bald die einzige sein wird? Waren sie da als Eltern nicht etwas fahrlässig? Wer verliert denn sein Kind heute noch „unterm laufen“.

In diesem gelobten Land geht es nur um eins. Um Kosten.

Wirkliche Freiheit zuzulassen ist nicht rentabel. Eine normale Geburt bringt nichts ein. Richtig Asche machen kann man mit Kaiserschnitten und der Versorgung von Frühgeburten. "Gefühlsgedöns" ist nicht Sache des Staates. Er bietet im Hungermodus aber die Reparaturwerkstatt dazu an, für die die unfreie Gesellschaft aufkommen muss.

Wer diese Anreizbotschaften nicht verstanden hat, der versteht die Deutsche „Erfolgspolitik“ auch nicht.

Gleiches beobachten wir in der Kinderbetreuung. Der Rechtsanspruch ist lange schon da. Die Plätze aus dem Boden gestampft. Alles gut. Dass Erzieherinnen landauf landab aus den Kitas flüchten, weil sie das, was an realer Betreuung & Nichtbindung beim Kind ankommt, mit ihrem Gewissen oder ihren Kräften nicht mehr mittragen wollen, wird tapfer verdrängt. Dass Anforderungen ans Berufsbild von Tag zu Tag wachsen, die Wertschätzung aber nicht mit ansteigt, zeitgleich aber nach diesem Fachpersonal verzweifelt gesucht wird, ist die gleiche Farce. Du findest keinen Job? Es werden doch genug Leute gesucht. Ein Qualitätsgesetz soll’s wieder richten. Wieder eine neue Wohfühlverordnung - ganz ohne Inhalt.

Als „Abfallprodukt“ dieser beiden Klimazonen, in der nur die eine Beachtung findet, und die andere im Stillen wirkt, geschieht so Vieles, was die vielen Männer & wenigen Frauen, die uns derzeit regieren, nicht mehr scheren muss. Denn die Folgen, die all das hat, werden andere zu tragen haben. Wen interessiert es denn heute schon, was aus einem 1-Jährigen wird, dass sich frühkindlich in einer künstlich aufgeblasenen Großgruppe von 70 Kindern vom Morgenkreis bis zum Nachmittag die Seele aus dem Leib geschrien hat. Und wer würde die Spätfolgen, die das in Sachen Bindung hat, nach vielen Jahren auf diesen miesen Frühstart ins Leben zurückführen?

Kinder, Altes, Schwaches, Krankes & Armes – all‘ das passt auch nicht mehr in die Logik einer Klimazone in der Leistung, Konsum & maximale Produktivität Vorrang haben. Wo Leistung alles beherrscht, wird vom Einzelnen Idealismus & maximaler Verzicht gefordert. Wenn Du Dir keinen Schlitten leisten kannst, musst Du laufen - aber bitte genauso schnell, und sag' dabei um Gottes Willen nicht, dass Dir die Puste ausgegangen ist.

Statt mit dem Finger dahin zu zeigen, wo die Probleme herkommen, speisen wir uns untereinander mit vorwurfsvollen Sprüchen ab. Mal weniger in Urlaub fahren, dann klappt’s auch mit dem Nachwuchs.

Liebe Freunde, es ist nicht nur in den Köpfen der Verantwortlichen nicht angekommen, dass Familienpolitik auch heute schon stattfindet – nicht erst Morgen.

Und bei aller Sorge um die nachwachsende Generation, möchte ich einmal spüren, dass sich in der GEGENWART etwas so verbessert, dass ich nicht das Gefühl habe, dass der Berg von morgen um das Doppelte angewachsen ist.

Herzlich Susanne Rowley

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