Thursday, 1. November 2007

Autor: Susanne Rowley

Diskussion "Krippe oder Mama"

"Für die Kinder ist das Beste gerade gut genug"

*Johann Wolfgang von Goethe

Hallo liebe Wigwam-Freunde,

Das Thema Kinderbetreuung an sich und Ausbau der Krippenplätze beschäftigt nicht nur die Politik - auch viele Zeitschriften und Bücher setzen sich zunehmend mit dem Thema auseinander. Ein Grund für mich in den ein oder anderen Artikel die Nase etwas tiefer hineinzustecken... Unser Thema heute:

Die Diskussion "Krippe oder Mama" spaltet die deutsche Gesellschaft? Ich weiß nicht inwiefern Sie, liebe Leserinnen und Leser noch Lust haben, sich dem Thema zu widmen? Mir fiel vor kurzem die Zeitschrift "Focus" in die Hände, die mit o.g. Thema einen großen Artikel aufzog.

Schon der Start des Artikels bringt das Thema auf den Punkt.

Es wird dort gefragt - worum geht es eigentlich in der hitzigen Diskussion ? Vordergründig dreht es sich um den Ausbau der Krippenplätze bis zum Jahre 2013. Tatsächlich, so mutmaßt der Artikel, ginge es aber darum, dass wahrscheinlich die Familie in Deutschland zur Disposition stehe. Lausche man den Stimmen von Eva Herman, der Feministin Alice Schwarzer, der FDP-Abgeordneten Silvana Koch-Mehrin oder dem Augsburger Bischof Walter Mixa, so handele es sich im Kern um einen Kampf "Moderne versus Tradition". Eine ideologisch hoch aufgeladene Diskussion durchtose Deutschland; man rüste quasi zur Verteidigung von Lebensmodellen. Unsere Familienministerin, Frau von der Leyen,

hingegen sei fest davon überzeugt, dass man an Zahlen ausreichend belegen könne, das etwas falsch laufe in Deutschland und wie man das beheben könne. Sie glaube, wenn man nur die Rahmenbedingungen pragmatisch ordne, seien Probleme wie bedrohte Familienplanung, die demographische Entwicklung, soziale Bedingungen wie Bildungschancen von Kindern und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu bannen. Kritiker wiederum befürchten, der geplante Krippenausbau dränge die Mütter in die Arbeitswelt, verstaatliche die Erziehung, schade letztendlich den Allerkleinsten. Tatsache sei, wenn man den Zahlen glauben dürfe,

ein Drittel der Kinder wachse nicht mehr in klassischer Konstellation auf, sondern ohne Väter, in Patchwork-Familien, mit unverheirateten Eltern. Nur sechs Prozent der Frauen gäben als Beruf "Hausfrau" an. Es könne sich, so Fr. von der Leyen, kein einzigs Land mehr leisten, an verkrusteten Strukturen festzuhalten, die Kinderkriegen zu einer Entweder-oder-Entscheidung machen. Focus nennt die Statistiken von Fr. von der Leyen ein reines "Zahlenmantra"  nachdem in Deutschland die Übergroße Mehrheit - 94 Prozent - ihr Kind im ersten Jahr zu Hause betreuen ließen. Diese Frauen wollten oder müssten irgendwann arbeiten, davon bevorzugten 44 Prozent Teilzeit-Jobs. Mit 1,3 Kindern pro Frau rangiere Deutschland ganz hinten im europäischen Vergleich.

In anderen europäischen Ländern,

so steht zu lesen, entschieden sich hochqualifizierte Frauen eher für Nachwuchs als hierzulande. In Deutschland bliebe jede 4. Akademikerin kinderlos, weil sie angesichts drastischer Scheidungsraten die finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann scheue, weil sie fürchte den Anschluss im Job zu verpassen, weil in deutschen Unternehmen immer noch herrsche, was die Familienministerin mit leisem Spott "männliche Präsenzmodelle" nenne. Auch diesen verkrusteten Strukturen habe Fr. von der Leyen den Kampf angesagt.   "Scheinheilig" nennt eine 41-jährige Buchautorin und Journalistin, namens Stella Bettermann (Buch: Mama ante Portas - Mein Jahr als Hausfrau) die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und schildert die Praxis im realen Alltag. Schwindelig sei sie geworden zwischen den Bedürfnisse ihrer zwei kleinen Kinder und den unkalkulierbaren Terminen ihres Arbeitgebers und habe entnervt das Handtuch als Abteilungsleiterin in Vollzeit geworfen, um das Leben als Vollzeitmutter kennen zu lernen. Eine Weile habe sie dabei Genuss empfunden, bis sie feststellen musste, das am wenigsten Solidarität zwischen den Hausfrauen und den berufstätigen Frauen herrsche. Die Wahrheit sei, so schreibt sie, der geheime Neid auf den Lebensentwurf der anderen. Die Lebensentwürfe seien nicht nur konträr, sie basierten sogar darauf, sich voneinenader abzugrenzen. Die Realität sähe so aus,

wer sich auf Kinder plus Beruf einlasse, hetze oft von schlechtem Gewissen gepeinigt, dem Nachwuchs wie dem Arbeitgeber gegenüber, zwischen Kita und Konferenzraum hin und her. 6000 € seien der Techniker Krankenkasse inzwischen Präventivkurse gegen Burn-out bei berufstätigen Müttern wert, und die Wartelisten seien lang. Glücklich sei, wer einen lebbaren Betreuungsplatz gefunden habe, denn aktive Omas seien rar im Zeitalter zerfallender Großfamilien, und bei wem es noch zum Make-up reiche, der gelte schnell als "Rabenmutter". Grandios hereingelegt,

fühlten sich lt. Focus offensichtlich die Mütter, die ihre Kinder bis zum Kiga-Alter zu Hause betreut haben, und die dann feststellen müssten, dass der Karriere-Zug auf jeden Fall abgefahren sei. Zudem geißele sie permanent "der Zeitgeist" als vorgestrig. Von wahren "Mütterkriegen" sei die Rede, in denen sich deutsche Frauen gegenseitig selbst verheizten, als sei das ganze Thema reine Frauensache. Und natürlich kommen auch andere Meinungen in diesem Focus-Artikel zum Zuge. Nämlich die, die mit erhobenem Zeigefinger auf das Herzstück der Debatte zeigen: Unsere Kinder!

Ein Heer von Psychoanalytikern

seien sehr skeptisch, was Kinderkrippen beträfe. Unbedingt seien Kinder in den ersten 3 Lebensjahren auf die Mutter im speziellen angewiesen, sonst entstünde das sogenannte Urvertrauen nicht und hierfür bräuchten Kinder exclusive Beziehungen. Und als absolut tabu gelte das erste halbe Jahr im Leben eines Kindes. Während dieser Phase dürfe die Mutter-Kind-Bindung nicht länger unterbrochen werden, weil hier die vorgeburtlich festgelegte Symbiose zwischen Mutter und Kinder fortgesetzt werde. Ohne den Klang der mütterlichen Stimme, ohne ihre Blicke, ihre Körperbewegungen würde das Kind einen Riss in der Entwicklung von Ich-Gefühlen erleiden. Andere Analytiker meinen sogar das diese entscheidende Phase des winzigen Egos mindestens 12 bis 18 Monate andauere. Mit einem Jahr habe das Kinde eine Bindung zu einer oder auch mehrerer spezifischer Personen aufgebaut und könne "Nähe und Distanz" durch seine fortgeschrittene motorische Entwicklung selbst beeinflussen. In Zeiten totaler Selbstverwirklichung, in denen für viele ein Kind das letzte Puzzleteil einer modernen Biografie darstelle, gehöre die Unbedenklichkeit der Fremdbetreuung längst zum Cammon Sense. Andere Stimmen erzählen uns unentwegt,

Krippe sei gut für die Sozialisierung, gerade bei Einzelkindern, Krippe fördere frühkindliche Bildung und gelinge immer dann, wenn der Betreuungsschlüssel (wie viele Kinder kommen auf eine Erzieherin) gut sei. Es folgt in dem Artikel eine umfangreiche Diskussion über Aus- und Fortbildung von Erziehern, die all dieses erfüllen sollen. Im Anschluss liest man etliche Ausführungen praxiserfahrener Erzieherinnen, die nicht nicht mehr bereit und in der Lage seien, alle Defizite abzufangen, und die schlussendlich das beste aus sich und ihrem Beruf versuchten herauszuholen, um denen gerecht zu werden, wegen denen sie einst den Beruf erlernten - den Kindern. Lange Rede kurzer Sinn -

der Artikel gipfelt darin, dass ein Baby mit Elektroden verkabelt auf einem Foto abgebildet zu sehen ist - untertitelt mit dem Satz "Geheimnisse in kleinen Köpfen". Forscher versuchten jetzt herauszufinden, wie die elektrische Aktivität im Gehirn des Babys auf Gesichtsausdrücke seines Gegenüber reagiert. Als ich den Artikel fertig gelesen hatte, war mir in der Tat schwindelig,

und eigentlich kam in mir spontan nur ein Gedanke hoch. Deutschland leidet permanent unter einem nationalen Schuldgefühl seinen Familien und seinen Kindern gegenüber, dass durch Zahlen und Erhebungen, durch Forschungen und Debatten nicht kleiner wird - im Gegenteil. Ich kenne aus meiner langjährigen praktischen Arbeit

mit tausenden von Eltern kaum noch eine Mutter oder ein Elternpaar, das noch weiß, was "richtig oder falsch" ist, was ihnen und ihrem Kind gut tut und was nicht. Ich kenne auch kaum noch Eltern, die eine echte Wahlfreiheit spüren und sich dieses Recht auch nehmen könnten, angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der massiv geforderten Flexibilität im Beruf. Wir alle sind Eltern, die zwischen Zeitgeist, Globalisierung im Job und dem Wunsch nach Familie, hin- und hergerissen, nach dem richtigen Weg suchen. Statt offen und ehrlich darüber zu diskutieren, dass wir alle dem Diktat der Wirtschaft unterliegen, werden diese Eltern weiter gepeinigt durch Schuldgefühle, was sie in diesem oder jenen Falle ihren Kindern antun, oder werden als "rückständig" beschimpft, wenn Sie sich zu Werten der klassischen Rollenverteilung bekennen, weil ihnen die Kräfte "auf dem freien Markt" ausgehen. Warum, wird jede Diskussion in Deutschland "schuldig" geführt. Und warum sieht keiner, dass hier ein "Elefant durchs Nadelöhr" soll, und eine Diskussion in jeder Hinsicht keinen Sinn macht, solange die Unternehmer nicht mit verantwortlich im Boot sitzen. Solange ein Arbeitgeber eine allein erziehende Hebamme in sechs Schichten pressen darf, solange brauchen wir nicht nach irgendeiner lebbaren Betreuungsform zu suchen, die dem Kind möglichst nicht schadet - weil es die nicht gibt ! Warum sagt uns lebenslang der Staat, was uns gut tut, und wie wir leben sollen - und warum lassen wir das zu ? Am ehesten teile ich noch die Meinung

eines im Artikel zu Wort kommenden Kinder- und Familientherapeuten, der sagt, dass sich der Staat im Grunde aus den Familien heraushalten solle, den überall, wo das mit den besten Absichten versucht wurde, endete das im Desaster. Der entscheidende Punkt sei, dass die Menschen unterschiedlich mit den Anforderungen der Gesellschaft umgehen könnten und wollten. Es gäbe Mütter, denen falle schon nach 8 Monaten Babypause die Decke auf den Kopf, und wiederum andere wollten einfach länger bei ihrem Kind bleiben. Der Staat, so Bergmann, verstricke sich immer in Organisationswut und Finanzierungsfragen - und vergesse dabei den Faktor "Mensch/Kind". Eine Gesellschaft, der nicht von ihren Grundgefühlen her das Herz aufgehe, wenn sie an Kinder denke, vernichte etwas in sich. Und das sei der entscheidende Unterschied zu anderen europäischen Nationen. Wer z.B. die französische Gesellschaft kenne, der wisse, dass Mütter dort hochangesehene Menschen seien; eine Mutter gelte dort noch als attraktiv. Hierzulande entstehe immer der Eindruck, dass das Kinderkriegen extrem mühsam sei. Zudem sei es fatal,

so Bergmann, wie die Wirtschaftskultur in unserem Lande die Bindung zwischen Kindern und Eltern zerreiße. Wir hätten keine Wirtschaftskultur in der Kindlichkeit hoch angesehen sei. Und diesen Kurs hätte Frau von der Leyen völlig anders lenken können. Sie habe auf diesem Gebiet völlig versagt. Der Tenor im Land - Kinder sollten wegen frühkindlicher Bildung mit 7 Monaten in die Krippe geschickt werden, damit sie im Studium besser abschneiden - was machten da schon ein paar Kindertränen ? Gegen so eine Meinungsmacht käme ein junges Paar nicht an. Diese Haltung,

so Bergmann, habe mit dem Verlust einer freiheitlichen Nationalkultur zu tun. Eltern fixieren sich auf Modelle, die der Staat und die Bürokratie leisten können; für das andere fehle zunehmend das eigene Empfinden. Frau Merkel soll mal gesagt haben: die Krippe sei nicht die beste Lösung, aber wir haben keine bessere. Ich kann mich noch an die Wigwam-Gründungszeiten erinnern; da gab es viele fröhliche Eltern, die gerne arbeiten gingen und die es als Gewinn für sich und ihr Kind ansahen, Betreuungshilfe anzunehmen. Andere entschieden sich ebenso freudig zu Hause zu bleiben, wenn sie feststellten, dass sie eine Fremdbetreuung mit sich noch nicht vereinbaren konnten. Und beides war in Ordnung. Heute sitze ich zunehmend völlig gestressten Eltern gegenüber, die "müssen" - aber nicht unbedingt noch "wollen" oder "können". Ja, ich bin für eine Diskussion über Werte in unserem Lande -

aber ohne den "erhobenen Zeigefinger" und nur mit den Verantwortlichen der Wirtschaft an einem Tisch ! Ihre persönliche Erfahrung hierzu liebe Tagesmamis und Eltern interessiert mich sehr. Für heute verbleibe ich mit liebem Gruß Ihre Susanne Rowley

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