Friday, 12. April 2013

Autor: Susanne Rowley

Dauerbrenner Schuldgefühle

Ich glaube, keine Mutter ist frei davon.


Liebe Wigwam-Freunde,

heute möchte ich von einem "Dauerbrenner" erzählen.

Nach einem langen Beratungstag mit vielen Eltern, die ihr kleines Kind noch niemals einem anderen Menschen anvertraut haben, kann ich sagen, dass auch heute ein ganz bestimmtes Thema wie so oft im Mittelpunkt stand.

Schuldgefühle

Nach meinen eigenen Erfahrungen als Mutter und durch die jahrelange Erfahrung in der Beratungsarbeit mit vielen Müttern, kann man dieses Thema wirklich als Dauerbrenner "unterm Mäntelchen" bezeichnen.

Ich glaube, keine Mutter ist frei

von diesen Schuldgefühlen, ob sie nun arbeiten geht, oder zu Hause ist. Immerzu formulieren sie eine Frage, die startet mit: wenn ich das und das tue, schadet das dann meinem Kind? Was ich in diesem Artikel nicht möchte, ist das Bild der deutschen „Rabenmutter“ bedienen, denn ich denke, zu diesem Thema habe ich bereits ausführlich geschrieben.

Sicher spiegelt sich gesellschaftliche Norm

auch in der kleinen Gesellschaft – der Familie – wieder; dennoch gibt es auch Mütter/Eltern, die sich frei von diesen wabernden Standardvorurteilen machen können, und eben gerne „ihr Ding durchziehen“. Also lohnt es doch, genauer hinzuschauen; nicht unbedingt wo diese Schuldgefühle herkommen (ggf. aus der Kindheit) – viel sinnvoller ist es jetzt in diesem Beratungsmoment, gemeinsam im Gespräch zu schauen, was Eltern mit diesen Schuldgefühlen einerseits bewirken wollen (denn es soll dem Kind ja gut tun), und auch das, was sie wirklich real bewirken. Schuldgefühle kleben wir Kaugummi an den Schuhen; man kann versuchen sie mit Verhaltenstherapie weg zu handeln, ihnen tiefenpsychologisch auf den Grund gehen, um morgen wieder in die gleiche Falle zu tappen.

Effektiver und nachhaltiger,

so habe ich festgestellt, ist es, den Blick dafür ganz einfach „gerade zu rücken“, indem wir uns auf das konzentrieren, was Eltern bewirken möchten. Sie möchten, dass es ihrem Kind gut geht – nichts weiter! Also fragen wir infolge ganz einfach, wann es einem Kind wirklich gut gehen kann, und stellen diesen Aspekt zur Diskussion. Der erste Ansatz wäre die Tatsache, dass ein Kind Vertrauen haben muss – hier ernte ich schnell Zustimmung. Vertrauen entsteht unter anderem, wenn Worte und Taten der Mutter zu ihrer Haltung und Gefühlswelt auch passen. Denn viele Eltern unterschätzen, dass ihr Kleines ein wandelnder Seismograph ist. Kinder verstehen nicht, was Schuldgefühle sind; sie spüren aber sehr wohl wenn „etwas nicht in Ordnung scheint“. Dies gilt bereits für sehr kleine Babys, die am Geruch der Mutter Stress erkennen; sie riecht tatsächlich plötzlich anders. Die Kleinen reagieren darauf häufig mit weinen, ohne es wirklich zuordnen zu können; aber sie fühlen, es ist „etwas“ aus dem Lot. Besonders gut erkennen kann man dies, wenn Eltern ihr Kind gut eingewöhnt haben bei ihrer Tagesmutter, und es kommt der Tag X. Tag X ist der, an dem der Spaß vorbei ist, und Eltern wirklich gehen müssen, weil die Arbeit ruft. Das Kind verhält sich an diesem Tag oft so, als ob es niemals liebevoll eingewöhnt worden wäre – der Grund dafür ist, dass Eltern das Wissen um „ich kann heute nicht bleiben“ ausgestrahlt wird. Weiß man um diesen Umstand, weil man als Eltern umfassend darüber aufgeklärt wurde, kann man die Situation entspannt bewältigen.

Das heißt für unser Thema,

dass es am hilfreichsten ist, wenn eine Mutter, sich vor dem Abgeben ihres Kindes mit sich beschäftigt und nicht mit dem Kind. Sie selbst sollte es schaffen können, sich zu erlauben, in ihrem Beruf glücklich sein zu dürfen; für die eine ein kurzer Weg - nach der Einsicht – für die andere ein langer; auf jeden Fall ein persönlicher Weg. Sicher, ist die persönliche Geschichte einer abgebenden Mutter mit entscheidend, wie schnell sie diesen Schwenk hin zur positiven Sicht zu ihrer eigenen Berufstätigkeit schaffen kann. Aber auch eine eigene ggf. unschöne Kindheit muss nicht haarklein aufgearbeitet werden, um auf Umstände einen anderen Fokus zu legen. Wir alle bestehen aus Mustern die wir seit frühester Kindheit gelernt haben, und über die wir tagtäglich stolpern; sehr oft kann es genügen, sie einfach nur zu erkennen, einen Schritt auf die berühmte Seite zu machen, und sich zu sagen: aha sind „wir“ gerade mal wieder soweit, statt lebenslang an einer Wesensänderung zu ackern. Und damit sind wir beim Thema. Ein falsches Lernmuster aus der eigenen Kindheit, kann sich auf die Erziehung des Kindes negativ auswirken; z.B. dann, wenn ich gelernt habe, nur brav und angepasst zu sein, bringt mich weiter. Also lebe ich dem eigenen Kind vor, brav und angepasst zu sein, um weiter zu kommen. Fragt man nun diese Eltern, ob sie möchten, dass ihr Kind brav und angepasst ist, ist die Antwort immer ein klares Nein!

Der halbe Schwenk ist schon vollzogen,

wenn Eltern also be“greifen“, dass Erziehung Beispiel ist, und nicht gesprochenes Wort. Lebe ich also meinem Kind vor, dass ich mein Recht auf Glücklich sein nicht an der Kreissaaltür an den Nagel gehängt habe, besteht eine gute Chance, dass sich das Kind das gleiche Recht einmal zugesteht. Das ist das Ziel! Glückliche Kinder brauchen keine Eltern, die es ihnen „nur“ recht machen – glückliche Kinder brauchen Vorbilder – ein Gegenüber, an dem sie sich ehrlich reiben können, um dann zu entdecken, wie sie selbst gestrickt sind. Das mag ganz andere Verhaltensweisen nach sich ziehen – gelernt haben sie aber, dass sie „anders“ sein „dürfen“; und da wollen wir hin! Dieses Thema kann sich wie ein roter Faden durch die gesamte Kindheit ziehen; durch das Thema Schlafen, Essen u.v.m. So berate ich derzeit viele Eltern, die massive Schlafprobleme mit ihrem Kind beklagen, alle Ratgeber schon fünf Mal rauf und runter gelesen haben und keinen Schritt weiter gekommen sind. Diesen Eltern könnte man ebenso „Super-Nanny-like“ ein neues Verhalten antrainieren; hilfreicher jedoch ist auch hier, den Blick für das Wesentliche ganz einfach zu schärfen – einen Schwenk zu vollziehen – den Blick darauf zu ändern. Was bedeutet es denn für ein Kind, wenn eine Mutter oder ein Vater stundenlang am Gitterbett kauert, den Finger durch selbiges Gitter steckt, weil sie glauben, dann schläft es besser? Es bedeutet Nähe sicher – es bedeutet aber auch, dass die Verantwortung für den Schlaf an sich aufs Kind übertragen wurde. Denn das Kind wird irgendwann die Aufgabe sehen, darauf zu achten, dass der besagte Finger auch um 3 Uhr morgens bitte nicht weg gezogen wird. Wie anstrengend kann man sich dieses Unterfangen ausmalen – ein völlig übermüdetes Kind hat die ganze Nacht über einen Zeigefinger gewacht – der Teufelskreis kann hier schon eröffnet sein! Er setzt sich allein schon dadurch fort, dass Eltern bereits ab 18 Uhr Spannung aufbauen, denn bald ist es wieder Zeit für den „zu überwachenden Finger“ . Man muss sich bewusst machen:

Wir sind groß, und Kinder sind klein

also geben wir Ihnen verantwortungsbewusst bitte den Rahmen vor, in dem sie sich einfach wohlfühlen dürfen, ohne sich um „kindliche Bedürfnisse“, die wir gerne haben dürfen – aber für uns allein - von uns Erwachsenen kümmern zu müssen. Das ist der entscheidende Blickwinkel, der sich beim Thema Schuld in Bezug auf die Fremdbetreuung ändern muss.Nun noch kurz zum Alltag in der Kinderbetreuung und wie sich diese Schuldgefühle, auf die Fremdbetreuung auswirken, wenn man nichts an dieser Haltung korrigiert. Viele Tagesmütter berichten und beklagen sich auch, dass diese Schuldgefühle der außer Haus arbeitenden Mutter vorrangig dadurch wett gemacht werden sollen, dass die Kinder zu Hause wieder "alles dürfen" - ihnen keine Grenzen gesetzt werden, oder die Probezeit für das Tageskind so aussieht, dass die Mutter oder der Vater über Wochen hinweg nicht von der Seite des Kindes und damit auch nicht von der Seite der Tagesmutter weichen wollen. Es wird berichtet von Kindern, die mit 9 Jahren nur mit "Licht an" einschlafen können, oder gar nicht gelernt haben, alleine oder im eigenen Bett zu schlafen; von Kindern, die gar keine "Zubettgehzeit" kennen, sondern irgendwann im Wohnzimmer auf dem Teppich einfach umfallen, weil sie vor einer halben Stunde noch behauptet haben (um 23.00) nicht müde zu sein. Diese Form der Kompensation wird dann von der Tagesmutter ebenso erwartet, was einerseits dieser Pädagogin meist nicht entspricht, für das Kind ein anstrengendes Unterfangen ist und zudem Konflikte zwischen beiden Parteien quasi vorprogrammiert.

Diesem neuen Teufelskreis Schuldgefühl/Grenzenlosigkeit

könnte man entgehen, wenn man auch hier den Blickwinkel ändert und sich verinnerlicht, was Grenzen für Kinder wirklich bedeuten! Grenzen setzen heißt nicht, sinnlose Verbote erteilen. Kinder können, und das wissen wir alle, laute, quengelnde, schimpfende, beißende kleine Quälgeister sein. Wenn es heißt: "zieht Eure Jacken an", fängt bestimmt eines ausgerechnet dann an, mit dem Ball zu spielen.

Eine Pädagogin und ehemalige Tagesmutter schrieb zu diesem Thema: Kinder brauchen zu ihrer gesunden seelischen Entwicklung Mitmenschen, an denen sie sich reiben können, ein Gegenüber, auf das sie Bezug nehmen können. Im Leben bedeutet es immer wieder eine Herausforderung, sich entweder zu fügen, sich anzupassen, auf andere Rücksicht zu nehmen oder klar Position zu beziehen. "NEIN" sagen, einzustehen für eigene Ideen fällt im Erwachsenenalter viel schwerer, wenn man im Kleinkindalter nie erlebt hat, wie es sich anfühlt, sich durchzusetzen, sich zu widersetzen und trotzdem geliebt zu werden. Man muss sich in diesem Stadium klar machen; es ist sogar unmöglich für ein Kind, das es schafft durch Quengeln ein eben ausgesprochenes Verbot wieder aufzuheben, dieses Handeln nachzuvollziehen.

Durch ein solches Verhalten vermitteln Eltern dem Kind, dass diese selbst es nicht wert sind, dass auf deren Willen geachtet wird und man ihnen mit Respekt gegenübertreten soll. Für das Kind gibt es nur eine Schlussfolgerung, dass es auch anderen Menschen keinen Respekt entgegenbringen muss. Grenzen geben dem Kind Halt und Orientierung. Kinder wollen, dass wir ihnen sagen und zeigen wo es langgeht und was wir für richtig halten. Wir müssen eine eigene Meinung vertreten und vor allem berechenbar bleiben.

Diese so wichtige Berechenbarkeit bieten von Schuld gebeugte Eltern leider am allerwenigsten. Dabei kann sich ein ungutes Gefühl bei den Müttern einstellen - das Gefühl, das Kind zu unterdrücken und es mit seinem Recht auf seinen Willen nicht zu respektieren. Anlass zu einem wiederum neuen anderen Blickwinkel: Sage ich dem Kind, wo meine eigenen Grenzen liegen und die der Gesellschaft, zeige ich mich dem Kind als Persönlichkeit, die Respekt einfordert, Werte und Normen lebt; jemand dem andere Respekt entgegenbringen müssen und der selbst auch respektvoll mit anderen umgeht. So wird dem Kind ein fassbarer Rahmen geboten, indem es sich bewegen kann – und – es hat ein Vor-Bild. Kinder, denen kaum Regeln bekannt sind, schwimmen schutzlos in der Masse. Sie müssen sich zwangläufig auffällig verhalten, weil sie den fehlenden Rahmen suchen. Wenn Sie keinen Ärger bekommen, wenn sie anderen Kindern das Spielzeug wegnehmen, dann können sie auch mal ausprobieren, was passiert, wenn sie anderen Kindern so ganz neben bei mal eins überziehen. Kinder verlangen Aufmerksamkeit. Wenn Sie niemand beachtet, setzen sie alles in Bewegung, bis der Blick auf sie fällt. Kinder wollen testen, herausfinden: "Was passiert wenn....?" Sie brauchen Reaktionen auf ihre Taten: "Ist das richtig, was ich tue?", "werde ich gemocht?", "was darf ich - was darf ich nicht", "ist heute noch richtig, was gestern galt"? Das nervige dabei ist, dass wir es nicht nur 1 x sagen müssen, sondern 100 x. Kann man wirklich glauben, dass man einem Schulkind, das nicht alleine einschlafen kann, einen Gefallen getan hat. Es hat eben nicht gelernt, dass ihm nichts geschieht, wenn es alleine schläft.

Haben wir dem Kind wirklich einen Gefallen getan,

wenn es selbst abends merken soll, wann es müde wird und wir warten, bis es von alleine umfällt? Also – versuchen wir jeden Tag auf Neue, ein zufriedenes glückliches Leben mit unseren Kindern zu führen, ohne uns selbst dabei aufzulösen! Die meisten verbitterten Menschen, die mir in meinem Leben begegnet sind, haben sich aus ihrer Sicht glaubhaft aufgeopfert, und gefühlt „nichts“ zurück erhalten.

Tja, das ist auch eine Art Generationsvertrag – Liebe, die wir heute geben – erhalten wir vielleicht zurück – noch wünschenswerter ist es aber zu wissen, diese Liebe wird weitergetragen – an die nächste Generation.

Ich habe fertig – liebe Wigwam-Freunde – und habe heute wieder gespürt – selbst nach 20 Jahren – ich liebe meine Arbeit.

herzliche Grüße

Eure Susanne Rowley

Wigwam 1994
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