Tuesday, 1. February 2005
Ausbausituation der Kinderbetreuung in den Kommunen
Leserbriefe
Hallo liebe Wigwam-Freunde,
Die Faschingszeit hat uns wieder fest im Griff.
Aber auch über die tollen Tage möchte ich nicht versäumen, Sie über wichtige interessante Neuerungen, die das Jahr 2005 für uns bereithält, zu informieren:
Kindererziehung / Pflegeversicherung
Wußten Sie, dass ab 01. Januar 2005 Mitglieder mit Kindern besser gestellt werden, als solche ohne Kinder? Kinderlose zahlen ab 01.01. einen Beitragszuschlag von 0.25 % Beitragssatzpunkten. Wichtig: Berücksichtigt werden auch Adoptiv-, Stief- und Pflegekinder!
Ausbau der Kinderbetreuung Sicher ist Ihnen das Thema in den Nachrichten auch schon zu Ohren gekommen. Länder und Kommunen haben von diesem Jahr an den Auftrag, bis zum Jahre 2010 die Zahl an Plätzen in Krippen und bei Tagesmüttern, insbesondere für die unter Dreijährigen, so zu erhöhen, dass sie dem Bedarf von Eltern und Kindern entsprechen (hört sich ja mal gut an). Festgeschrieben ist dieser Ausbau im neuen "Tagesbetreuungsausbaugesetz". Sage und schreibe 230.000 neue Betreuungsplätze sollen also entstehen; davon ein Drittel in der Tagespflege - also durch Tagesmütter. 1,5 Mrd. Euro sollen dafür jährlich zur Verfügung gestellt werden. Geld, das den Ländern aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zufließen soll. Die derzeitige Situation und die der letzten Jahre zeigt lt. Statistischem Bundesamt auf, dass in den überwiegenden Landkreisen (ca. 326) im westlichen Teil Deutschlands nur 5 Landkreise für über 10 % der unter Dreijährigen Platz boten. Der überwiegende Teil aller Landkreise bot deutlich unter 10 % und fast 30 Stadt- und Landkreise haben sogar gar kein Angebot.
Sie können sich vorstellen,
dass uns dieses Thema sehr bewegt, denn seit Bestehen von Wigwam sind wir hier hautnah dran an den individuellen tatsächlichen Betreuungsbedürfnissen der Eltern. Wir fragen uns sehr wohl, wie konkret der Ausbau dem wahren Bedarf angepaßt werden kann - vor allen Dingen aber hoffen wir, dass sich wirklich kluge Köpfe hier an der Planungsarbeit beteiligen werden, damit der individuelle Bedarf auch den tatsächlich am Arbeitsmarkt geforderten superflexiblen Arbeitszeiten einigermaßen gerecht wird. Nicht vergessen sollte man auch die finanziell schwächer bezahlten Berufsgruppen - denn was nützen tolle Plätze, wenn "Frau" sie nicht finanzieren kann. Ich erlaube mir ein Bsp. aus der Praxis zu nehmen und lasse hier eine "Wigwam-Mutter" zu Wort kommen, die sich - zum besseren Verständnis für alle Leser - in folgender Lebenssituation befindet:
Eine Mutter, verheiratet, faktisch und praktisch aber allein Erziehend, da sich der Ehemann beruflich weit fort in Berlin aufhält und nur zu den Wochenenden nach Hause kehrt. Diese Mutter hat bereits einen 14 Monate alten Sohn und ist nun mit dem 2. Baby schwanger, das im April diesen Jahres das Licht der Welt erblicken wird. Sie hat einen guten Job, liebt diesen Beruf sehr, möchte den "Anschluß" behalten und kämpft - wie alle Mütter - mit der Vereinbarung ihrer Mutterrolle mit dem Erhalt Ihres Berufes und Arbeitsplatzes. Wenn Sie das gelesen haben, erlaube ich mir noch ein paar Kommentare zum Schluss dazu abzugeben, und wünsche mir natürlich wie immer rege Resonanz von Ihnen.
>> Liebe Frau Rowley, Hier ein paar meiner Erfahrungen zu den städtischen Krippen bzw. vom Jugendamt verwalteten Betreuungsplätzen. Wenn man schon einmal die Chance hat etwas beizutragen, sollte man das doch auch tun .....Also - nun in unsortierter Reihenfolge meine Gedanken / Erfahrungen / Fakten: Einen Platz bekommen nur allein erziehende berufstätige Eltern oder in Ausbildung befindliche Eltern, die wohl nicht allein erziehend sein müssen. Darüber hinaus, d.h. für Eltern, die einfach "nur" arbeiten wollen, stehen wohl überhaupt keine Plätze zur Verfügung. Ist die Dringlichkeit, einen Platz zu benötigen, plausibel (bei mir, weil ich hier jetzt allein wohne und die Zukunft meines Arbeitsplatzes zumindest ungewiss ist, wenn ich nun für Jahre aussteige weil das 2. Baby im Anmarsch ist), hat man zwar Aussichten, und gewinnt schon den Eindruck, dass das Mögliche getan wird - wegen der wenigen Plätze gibt es jedoch auch trotz der akuten Notlage Wartezeiten, bis der nächste Platz in einer der Einrichtungen frei wird. Eine lange Wartezeit war bei mir aber bereits erfüllt, da ich mich schon früh, aber damals ohne Aussicht auf Erfolg, für den erstgeborenen Sohn angemeldet hatte. Kaum zu glauben, aber wahr; ich hatte einen Platz für meinen erstgeborenen Sohn ergattert, und bekomme nun gesagt, dass ich den wieder verliere während des Mutterschutzes vom zweiten Kind, da man in dieser Zeit den Beruf nicht ausübt und sich selbst um das Kind kümmern kann (zumindest habe ich das so aufgrund meiner konkreten Frage verstanden, überlege aber noch im Nachhinein, ob der Mutterschutz nicht mit der Elternzeit verwechselt wurde). Was danach passiert, habe ich nicht nachgefragt, da ich zu dem Zeitpunkt auch den Platz in der privaten Elterninitiative zur Auswahl hatte, der nicht mit der Geburt des zweiten Kindes verloren wäre. Möglicherweise kann man danach einen neuen Antrag stellen und bekommt bevorzugt einen Platz. Ich frage mich, ob diese Vorgehensweise mit den Aufgaben und Zielen einer öffentlichen Stelle - nämlich die Fürsorge der Kleinen - zu vereinbaren ist. Die Preise sind nach Einkommen gestaffelt - ich denke, dass der Platz für uns schon in der höchsten Stufe gewesen wäre. D.h. dass die Friseuse, mit niedrigem Einkommen, an die wir auch denken müssen und von der wir beide am Telefon sprachen, wird bei einem Nettoeinkommen von 700 Euro auch einen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit niedrigeren Beitrag zahlen. Hier wird also zumindest versucht, soziale Gerechtigkeit walten zu lassen. > Ich kann mir kein Bild darüber machen, ob die in meiner Umgebung vorhandenen Plätze, für die extrem bedürftigen Mütter annähernd deckend ausgelegt sind. Ich möchte auch mal endlich auf das eigentliche Hauptproblem hinweisen, nämlich fehlende Plätze für diejenigen Mütter, die die Entscheidung zwischen Job und Kindern bitter mit sich ausfechten müssen. Und in diesem Punkt habe ich mich in den letzten Tagen immer wieder gefragt, ob es wirklich so falsch wäre, erstmal Plätze und Einrichtungen zu schaffen, deren Preise dann gemäß den jeweiligen staatl. Zuschüssen festgelegt würden und ggfs. auch für die "Bedürftigen" unerschwinglich wären. Es ist ja zur Zeit in der öffentlichen Diskussion wirklich mal ein Thema geworden, welch schwere Entscheidung gut ausgebildete Frauen mit ihrem Kinderwunsch treffen müssen. So hätten dann auch die "bösen Doppelverdiener-Eltern" möglicherweise eine Chance auf einen Platz, die auch bereit wären, diese Preise zu zahlen. Für unsere Gesellschaft wäre etwas mehr Kinderfreundlichkeit allein in diesem Punkt eine Bereicherung. Wie viele Frauen warten mit dem Kinderkriegen bis zum letzten Moment und müssen dann eine Enttäuschung hinnehmen oder entscheiden sich wegen ihrer Tätigkeit ganz dagegen! Das kann jeder in seinem persönlichen Umfeld erkennen, und man scheint wohl zumindest im Moment zu realisieren, welche gravierenden Konsequenzen dieser Trend in Deutschland für die ganze Gesellschaft hat. Wenn wir alle mal aufhören würden, arbeitswilligen Müttern den Makel der Rabenmutter anzuheften, wäre für unsere Gesellschaft viel gewonnen. Nun zu den Tagesmüttern: dass es sich für diese rechnen muss, Kinder zu betreuen, liegt wohl auf der Hand! Dass das im Einzelfall nicht so ist, finde ich ganz schlimm. Hier ist der Wigwamsche Einblick in die sicherlich teils grotesken Regelwerke der Steuern- und Finanzabgaben für diesen Berufsstand viel umfassender und gut für heftige Kritik an die richtigen Adressen!!! So, mehr fällt mir jetzt spontan nicht mehr ein, obwohl mich das Thema die letzten Tage gar nicht mehr loslässt. Hoffentlich können Sie, Frau Rowley, Einfluss auf "wichtige Menschen" in der Politik ausüben, so dass zumindest mal was in Angriff genommen wird! <<
Tja, liebe Eltern und Leser,
auf die Betreuungssituation in den einzelnen Kommunen kann ich hier auch nicht im einzelnen eingehen.
Aber auf das von dieser Mutter gelieferte Stichwort im vorletzten Satz. Die Regelwerke, die von "links und rechts" unkoordiniert auf unsere Tagesmütter einwirken, dazu möchte ich noch ein paar Sätze verlieren. Es wird eben nicht damit getan sein "Bedarf zu ermitteln" und dann "Plätze zu schaffen". Sie müssen auch bezahlbar und insgesamt sinnvoll an die wahren Bedingungen des Arbeitsmarktes orientiert geschaffen werden. Es wäre für Wigwam gelinde gesagt ein Alptraum von um 16/17 Uhr schließenden Krippen umgeben zu sein, und dann für die noch verbleibende Arbeitszeit "taxifahrende" Tagesmütter zu organisieren, die dann der Friseuse, der Verkäuferin das Kind für evtl. 1 bis 2 Stunden noch hüten. Keine Tagesmutter würde gerne ihren Berufsstand auf reine Fahrtätigkeit zurückgeschraubt wissen.
Ich würde mir auch wünschen,
dass bezüglich der Tagesplätze an den politischen Rahmenbedingungen gefeilt wird. Es kann und darf nicht angehen, dass Frauen, die füreinander da sein sollen (abgebende Mutter und Tagesmutter) fortgesetzt gegeneinander aufgebracht werden. Wie ich das meine? Eine Tagesmutter, die z.B. 5 Tage-Woche Vollzeit ein Kind betreut, tut dies im Durchschnitt für 3,30 (auf dem Lande) und 3,60 /Std. (in Stadtnähe). Nun lassen Sie uns das flux auf den Monat hochrechen; dann kommen wir auf einen Verdienst von 576 €. Von diesem Verdienst hat sie Ausgaben für Essen und umgelegt natürlich die Kosten, die für Strom/Wasser/Betreuungsleistung ect. Da wir hier eine selbständig tätige Berufsform haben, muß diese Tagesmutter für ihre Sozialabsicherung selbst sorgen. Da wären also lockere 19,5 % Rentenversicherung abzuziehen (da sie über die 400 €-Grenze kommt - wobei mir schleierhaft ist, was diese Grenze soll beim Freiberufler ??). Natürlich hat Sie noch eine Steuerfreipauschale, die sie abziehen darf, um ihr eigentliches Einkommen zu ermitteln. In diesem Falle wären das also 576 € minus 77 € (Freipauschale, wenn ihr für das Tageskind nur unwesentliche Sachaufwendungen entstanden sind; z.B. kommt es täglich vor, dass die Mutter das Essen für ein Baby komplett stellt) = 499 € tatsächliche Einkunft.
So und nu haben wir noch die Krankenversicherung draufzupacken. Hier erlaube ich mir aus einer Original-Email zu zitieren, die mich just von einer langjährigen sehr engagierten Wigwam-Tagesmutter erreichte:
Sie schreibt:
>> Uns droht derzeit weitaus größeres Unheil von der Krankenkasse. Die hat nämlich entschieden, dass Pflegekinder (auch aus öffentlicher Hand) als Einkommen der Ehefrau zu deklarieren. Somit ist der Ehefrau verwehrt, in der Familienkrankenversicherung des Ehemannes mit krankenversichert zu sein. Sie muss sich selbst freiwillig versichern. Das bedeutet für mich nun eine grasse Hochstufung von bislang 118 € auf sensationelle 350 € monatlich. <<
So dann rechnen wir mal:
Rente: Da die 400 € bei dem o.g. tatsächlichen Verdienst überstiegen werden, haben wir hier also 19,5 % von 499 € abzuführen - das wären dann 97,30 €. Dann haben wir noch die leckere
Krankenversicherung in Höhe von 350 € - in diesem speziellen Falle hier oben. Dann bleiben von den einstigen 576 € noch 128,70 € übrig. Dafür lohnt es sich und macht richtig Spaß, 40 Stunden die Woche zu arbeiten - finden Sie nicht ?
Nun betrachten wir mal die andere Seite - die abgebende Mutter. Wenn wir es nun mit einer Mutter zutun haben, die zu den etwas geringer verdienenden Berufsgruppen zählt und zwischen 800 € und 1000 € im Monat nach Hause bringt, so wage ich es kaum noch, Ihr vorzurechnen, dass Sie der Tagesmutter mindestens den halben Lohn zu überlassen hat.
Argumente von beiden Seiten stürmen täglich auf mich ein. Koordiniert werden kann eine zufriedenstellende Finanzierung der Betreuung nur, wenn alle Beteiligten Institutionen, Versicherer, Kassen und Ämter Einstufungen koordinieren und aufhören, alleine vor sich hin zu wurschteln. Nur wenn die Zutaten stimmen, wird letztendlich ein Kuchen draus.
Ich werde Sie zu diesem Thema auf dem laufenden halten und freue mich besonders über praktische Erfahrungen, die Sie mir per Mail oder per Post zur Verfügung stellen.
bis zum März verbleibe ich wie immer
mit herzlichen Grüßen
Susanne Rowley