Wednesday, 1. March 2006

Autor: Susanne Rowley

Schöner neuer Berufsstand Tagesmutter & Vater

Offene Leserbriefe


Hallo liebe Wigwam-Freunde, 


Schöner neuer Berufsstand Tagesmutter & Vater
 
"Wenn ich groß bin, möchte ich eine eigene Familie haben" - hat kürzlich ein kleines Kind zu mir gesagt. Ein frommer Wunsch - ein schöner Wunsch - wenn sie ihn sich noch leisten kann, wenn die Kleine mal groß ist.
 
Unsere Familien

liegen derzeit den Politikern sehr am Herzen - fest steht - das Ziel dürfte wohl für alle das gleiche sein; auch in der Ursachenforschung, warum immer weniger Kinder in unserem Land geboren werden, liegen die Meinungen gar nicht so weit auseinander. Nur der Weg dahin, das richtige für Familien zu tun und auch zu erreichen ist wie immer unterschiedlich und wird von unseren Politikern leider nur unzureichend an der Praxis überprüft. 

Tatsache ist - und da sind wir uns wohl alle einig:

Familien sind heutzutage einem großen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt. Die Lebenswirklichkeit einer Familie hat sich massiv verändert, und der Alltag fordert von Familien immer höhere Anpassungsleistungen. Familien sind heute massiver Arbeitslosigkeit und/oder der Angst vor der selben ausgesetzt. Um dies zu vermeiden werden Familien räumlich zerrissen, müssen sich zerreißen lassen; Partner arbeiten teilweise weit weg von zu Hause, um die Familie ernähren zu können. Frauen müssen immer häufiger früh nach der Geburt wieder erwerbstätig werden, um den Haushaltstopf zu füllen. Firmen erwarten von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer mehr Mobilität und Flexibilität - nehmen nach wie vor wenig Rücksicht auf das Leben außerhalb der Produktivität. Dies führt in der Realität oft zu Wochenendbeziehungen oder den Wegzug einer Familie von der Ursprungsfamilie, die früher noch als Netzwerk zur Kinderbetreuung diente. Familiäre Netzwerke gibt es zwar schon lange nicht mehr - aber diese Lage wird zunehmend verschärft. Das führt dazu, dass der Alltag einer Familie immer komplexer wird, die Doppel- und Dreifachbelastungen der Partner überschatten die Beziehung. Eine Familie zu haben, oder eine zu planen, wird in unserer Gesellschaft nicht mehr als hohes Glück empfunden, sondern Man(n)/Frau wägt die Belastungen ab, die die Gründung einer solchen mit sich bringt. Gleichzeitig entsteht ein immer bunterer Blumenstrauß an Lebensformen. Der gesellschaftliche Druck, die o.g. Lebenswirklichkeit trägt sicher auch zu einer höheren Scheidungsquote bei; somit wächst die Zahl der allein Erziehenden - es bilden sich Patchwork-Familien, die wieder ganz neue Herausforderungen vor sich sehen oder kinderlose Paare. Das alles führt zu ungeheuren Veränderungen innerhalb von Beziehungen, und wirkt sich schlussendlich nicht selten auf die Familienplanung schlechthin aus - oder bei den Kindern selbst - unserer Zukunft.

Was fehlt unseren Familien?

Oder anders gefragt, was könnte Paare dazu bringen, wieder gerne auf das zurückzugreifen, was Leben ausmacht? In unserem ganzen Leben herrscht Zeitnot. Wir haben kaum noch Lebensqualität, obwohl wir ständig daran arbeiten. Wir hetzen hin und her zwischen Öffnungszeiten von Einkaufsmärkten, Kinderärzten, Schulen, Kindergärten, Behörden, Beratungsstellen, unserem Arbeitgeber, Verpflichtungen aller Orten. Wir ersticken in Hemmschwellen von Anträgen, Bürokratie und Hürden, die uns die Kraft rauben. Verordnungen deren Sinn wir nicht verstehen, die uns unselbständig und ohnmächtig machen, Diktate von oben, Hilfsangebote, die uns nicht helfen, weil es uns stigmatisieren würde, sie anzunehmen. 

Im Gesetz steht verankert,

dass Eltern das natürliche Recht und natürlich auch die Pflicht haben, ihre Kinder zu erziehen. Innerhalb der eigenen Familie sollen Sie Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens, den Umgang miteinander, Verantwortung sich selbst und der Gesellschaft gegenüber erlernen.

Eltern werden sicher zunehmend alleine gelassen

in diesem Auftrag. Von daher ist es wichtig und richtig, dass Eltern innerhalb der Gesellschaft aufgefangen werden und Unterstützung durch ein breit gefächertes Betreuungsangebot erhalten. Aber diese Angebote sollen auch wirklich bedarfsgerecht gestaltet werden. Nicht so, wie wir das schon kennen. Wir bauen eine Einrichtung zur Betreuung von Kindern - haben unseren Soll erfüllt und bieten diese dann einer schichtarbeitenden Familie an. Heraus kommen starre Öffnungszeiten, Kinder, die abgeholt werden müssen, von Tagesmüttern, die kein Auto haben und darin auch nicht ihre berufliche und finanzielle Verwirklichung sehen können. Anders herum muss es laufen - wir prüfen den wahren Bedarf und lassen die verschiedensten Formen der Betreuung ineinander greifen, wie Zahnräder.

Wir können es nicht mehr zulassen,

dass Politiker eine Seite der Betreuungsangebote als Aushängeschild forcieren  - dabei eine andere verhungern lassen. Unsere Wirtschaft ist kreativ und flexibel, und die Menschen in Deutschland wären gerne kreativ und flexibel - unsere Kinderbetreuungsangebote sollten also ebenso bunt sein - für jede Familie das passende dabei.   

Kennen Sie liebe Leser einen Berufsstand,

der sich von Land zu Land unterschiedlich definiert? Kennen Sie einen KfZ-Mechaniker, der in Hessen nur 1 Jahr lernen muss, in Rheinland-Pfalz aber 3 Jahre? Kennen Sie einen Schullehrer, oder einen Pädagogen einer Einrichtung, dessen dauerhafte Fortbildung engmaschig überwacht wird? Also mein Mathematik-Lehrer von damals unterrichtet heute munter meine jüngste Tochter und stützt sich auf seine gemachte Berufserfahrung.

Seit Jahren kämpfen wir

hier um den Respekt und die Formierung eines angesehenen Berufsstandes "Tagesmutter". Und das ist nun dabei herausgekommen. Jede Kommune jedes Bundesland backt sich seinen eigenen Kuchen und erfahrene Tagesmütter müssen sich einem sehr individuell gestalteten "Prüfstand" unterziehen. Für mich steckt da die Info drin: es soll kein Berufsstand werden, denn kein Berufsstand kann in jeder Kommune anders ausgebildet sein, oder irgendwelchen Individualentscheidungen einzelner Behörden unterliegen.

Ergo: Tagesmütter bleiben Stiefkinder der Politik.

Die Kräfte und auch die Gelder fließen in die Betreuung durch Einrichtungen - Tagesmütter sind und bleiben "Lückenbüßer". Was den Politikern nicht klar ist, ist die Tatsache, dass der Arbeitsmarkt bald noch flexibler sein wird, als er ohnehin schon ist - dies werden Einrichtungen niemals abdecken können. Politiker haben nicht erkannt, welches Rückrat an Betreuung hier angegriffen wird. Ein Heer von flexiblen Tagesfamilien schützt uns derzeit vor dem Betreuungsgau!

Also formuliere ich heute den Aufruf:

Lassen Sie uns alle daran arbeiten, das für die "Tagesfamilien" in unserem Land ein respektvoller Berufsstand dabei herauskommt, der sich sowohl des wichtigen Bildungsauftrages annimmt, als auch die finanzielle Seite annehmbar regelt; und den Menschen, die motivierte Betreuung bereits leisten nicht die Kompetenz abspricht. Menschen, die etwas leisten sollen, brauchen Anerkennung, die sich nicht nur in der willkürlichen Anhebung der Schulungsmeßlatte wiederspiegelt. 

Nun möchte ich Ihnen zwei "offene Leserbriefe"

zugänglich machen, die mir kürzlich eine Tagesmutter und ein Tagesvater schrieben:   

>> Hallo Frau Rowley, wie schon besprochen möchte auch ich mir nun einmal Luft machen und meinen Groll auf die Bundes-, Landes und Kommunalpolitik laut werden lassen. Seit Oktober 2005 arbeite ich nun als Tagesmutter. Um diesen Beruf (der vielerorts gern gesehen, doch nur selten anerkannt wird) auszuüben habe ich mir vorher natürlich so meine Gedanken gemacht. Daher habe ich im Frühjahr 2005 einen Kurs zur Tagespflege à 40 Stunden in einer kath. Familienbildungsstätte besucht und beendet.   Nun, da die hohen Politiker endlich ihr Ei zur aktuellen Familienpolitik gelegt haben muss ich mir aber leider sagen lassen, dass dieser Kurs gerade mal für die Katz war, denn man verlangt mir doch noch mal glatte 160 Stunden (lob sei dir Rheinland-Pfalz) eines Grund- und Aufbaukurses ab, den ich zusätzlich zu meiner Minimum 38 Stundenpflegewoche auch dann noch am Wochenende absitzen darf. Hallooooo... ich habe auch eine eigene Familie inkl. zweier Kinder einen Mann und möchte auch mit meinen Bezugspersonen gerne mal nur Zeit verbringen, wie alle anderen auch!!!! Schön und gut, gerne hätte ich nun natürlich um die entsprechende und nun in keiner Weise durch den Bund spezifizierte Qualifikation (ja, Tagespflege muss irgendwie gelernt werden, aber Kinderkriegen darf ja immer noch jeder!) erworben, hätte mir auch gerne die noch fehlenden 120 Stunden Lehrgang auf den Buckel geschnallt, und wäre gerne baldmöglichst zur Prüfung angetrabt, aber leider wurde mir da gehörig der Riegel vorgeschoben!   Nein, mit meinen läppischen 5 Monaten Berufserfahrung (ich zähle als Mutter einer Dreijährigen die weiteren drei Jahre Pflichtprogramm gar nicht erst dazu), darf ich leider aus Sicht der Behörden nicht am Aufbaukurs teilnehmen, denn ich habe zu wenig Erfahrung. Denn witzigerweise sind die Anforderungen für diesen Aufbaukurs nun wie folgt festgelegt: entweder hat man bereits mindestens 1-2 Jahre Berufserfahrung, oder man kann ein sozial- oder sonderpädagogisches Studium oder eine Ausbildung zur Erzieherin oder als Krankenpfleger vorweisen! Aha, die haben ja so eine Qualifikation sowieso noch mal nötig, denn in den genannten Studiengängen und Ausbildungsberufen wurde ja wohl offensichtlich kein Grundwissen zur Tagespflege vermittelt! (hallo? sitzen in den beschlusskräftigen Komitees nur Narrenkappen, oder was soll das? Solche Berufe sind doch schon per se qualifiziert oder nicht???)   Aber die, die engagiert und bereitwillig an die Sache herangehen möchten und nicht aus den genannten Berufszweigen mit ausreichend Vorkenntnis kommen, die können sich ja hinten anstellen und noch ein bisschen warten, was die zukünftige Gesetzgebung so alles noch in petto hat! Für mich ist diese ganze Sache mit dieser ominösen Qualifikation von der allewelt in Tagespflegefachkreisen spricht bitte erst noch einmal zu überdenken, denn wirklich ausgereift ist da doch wie in vielen Punkten der derzeitigen politischen Gesetzgebung rein gar nichts! Auf diesem Weg ein närrischer Gruß aus Mainz von A. Sp. <<   

Der nächste "offene Brief" kommt von A. Gruschkus aus MZ-Laubenheim, Tagesvater 

>> Das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) ist von der alten Bundesregierung auf den Weg gebracht worden, um die Kinderbetreuung für die Unterdreijährigen sowohl zahlenmäßig als auch qualitätsmäßig weiter zu entwickeln. In der Verantwortung der neuen Bundesregierung trat es dann in Kraft. Ziel sind bis zum Jahr 2010 230.000 Plätze in Krippen und Tagesbetreuung. Die Einzelheiten dieser Entwicklung wurden den Ländern und in der Folge den Kommunen überlassen, sind also uneinheitlich geregelt. Die Praxis in Mainz sieht so aus: Die Qualität der Tagesbetreuung soll sichergestellt werden, indem die Tagesmütter und -väter eine 160-stündige Ausbildung mit anschließender Prüfung durchlaufen. Dazu kommt ein 1.-Hilfe-Kurs speziell für Kleinkinder, eine Ortsbesichtigung, ein polizeiliches Führungszeugnis und Gesundheitsatteste für alle Haushaltsangehörigen. (Pikant ist, dass hier ausgerechnet in Sachen Familienfreundlichkeit von diesen 160 Stunden keine einzige Stunde versäumt werden darf, im Gegensatz zu den Regelungen im allgemeinen Arbeitsrecht, das für Fälle von Krankheit der Kinder Befreiung vorsieht). Das sind schon echte Hürden für Tagesmütter, die ja auch eigene Familien haben, teilweise allein erziehen usw. Es gleitet aber ins Absurde ab, wenn Sozialpädagogen nur zur Hälfte von dieser Ausbildung und gar nicht von der Abschlussprüfung befreit werden. Sozialpädagogen, die ohne jede Zusatzausbildung oder -prüfung in einer Einrichtung der Kinderbetreuung arbeiten könnten oder sie sogar leiten. Sozialpädagogen, die die Ausbildung zur Tagespflegeperson durchführen dürften. Sozialpädagogen, die die Prüfung zur Anerkennung als Tagespflegeperson abnehmen dürften. Sozialpädagogen, die im Jugendamt die Anerkennung aussprechen dürften. Es bleibt also die Erkenntnis, dass an die Qualität einer Tagesbetreuung höhere Maßstäbe angelegt werden als an die einer institutionelle Tagesbetreuung in Kinderkrippen. Wieso? Ist dieses Misstrauen gegenüber der Ausbildung zum Diplom-Sozialpädagogen gerechtfertigt? Und warum dürfen die dann unbehelligt in Kindertagesstätten arbeiten? Und sind Eltern, die eine Tagesbetreuung für ihre Kinder suchen, so ahnungslos, dass der Staat zu ihrem eigenen Schutz in ihre Vertragsfreiheit eingreifen muss? Schade, dass Franz Kafka schon tot ist. Sollte, trotz dieser Zweifel, aber eine Qualitätssteigerung in der Tagesbetreuung erreicht werden - nun gut. Was auf diesem Weg sicher nicht erreicht wird, ist eine nennenswerte Aufstockung der Betreuungsplätze. Denn die Tagesmütter, die heute in der Betreuung arbeiten, werden zum Teil die Ausbildung durchlaufen, zum Teil aber auch nicht. Neue Tagesmütter werden durch höhere Hürden nicht dazu animiert, im Gegenteil. Insgesamt also ein Rückgang im Betreuungsumfang. Wo soll die größere Zahl der Betreuungsplätze herkommen? Werden die Krippen bis 2010 auf über 200.000 Plätze ausgebaut? Bei der derzeitigen Kassenlage nicht direkt ein realistisches Szenario. Wie kann man sich also auf derart abstruse Behauptungen verlegen, dieses Gesetz würde sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Weiterentwicklung bewirken? Das lässt sich doch bestenfalls mit den Instrumenten der Psychoanalyse erklären. Freundliche Grüße Andreas Gruschkus. <<

Liebe Tagesfamilien, liebe Eltern, liebe Leser, wenn Sie uns schreiben möchten - wir freuen uns auf weiterhin regen Austausch. 

Liebe Grüße Susanne Rowley

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